Parteien:Report: SPD schaltet in den Regierungsmodus

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Berlin (dpa) - Kann die SPD-Basis diesen schwarz-roten Koalitionsvertrag ablehnen, den die gesamte Führungsriege billigt und unterstützt? Parteichef Sigmar Gabriel muss nun viel Überzeugungsarbeit leisten. Aber die Sorgen, dass es schiefgehen könnte, sind deutlich kleiner geworden.

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Berlin (dpa) - Kann die SPD-Basis diesen schwarz-roten Koalitionsvertrag ablehnen, den die gesamte Führungsriege billigt und unterstützt? Parteichef Sigmar Gabriel muss nun viel Überzeugungsarbeit leisten. Aber die Sorgen, dass es schiefgehen könnte, sind deutlich kleiner geworden.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat die Hände zur Raute geformt, so wie es die Kanzlerin gerne tut. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat eine schwarz-rote Krawatte angelegt, während Parteichef Sigmar Gabriel für die SPD mit Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer den Koalitionsvertrag unterzeichnet.

Die Müdigkeit nach dem 17-stündigen Verhandlungsfinale ist Schwarzen wie Roten auf der Fraktionsebene im Bundestag am Mittwoch kaum anzumerken. Bei aller Vorläufigkeit dominiert Freude und Eintracht dieses Bild, dessen Aufbau sicher unfreiwillig fast ein wenig an Leonardo da Vincis Abendmahl erinnert. Entsprechend eifrig wird es im Netz kommentiert - „Wer ist Judas?“, wird gefragt.

In der Redaktion der SPD-Zeitung „Vorwärts“ laufen unterdessen die Vorbereitungen für den Druck des 185 Seiten umfassenden Vertrags mit dem Titel „Deutschlands Zukunft gestalten“. Nun wird das Werk 474 820 Mitgliedern per Sonderausgabe der Zeitung zugeschickt. Sie sollen vom 6. bis 12. Dezember per Briefwahl darüber abstimmen. Das bisher einmalige Votum wird nun in der SPD deutlich entspannter gesehen. Gabriel lässt alle Kassandra-Rufer am Mittwoch wissen: Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich kenne meinen Laden schon ganz gut.

Das in der finalen Runde Erreichte - um 5.36 Uhr war es vollbracht - hat etwas verändert. Wo zuvor noch von Scheitern und Ablehnung die Rede war, ist die Verzagtheit wie weggeblasen. Allenthalben wird der errungene Kompromiss als so gut bewertet, dass die Basis diesen gar nicht ablehnen könne. „Der Koalitionsvertrag ist auch einer für die kleinen Leute“, wirbt Gabriel wenige Stunden nach der Einigung.

Während der Parteichef nach der vorläufigen Unterzeichnung vom Bundestag zur Bundespressekonferenz eilt, um mit Merkel und Seehofer dort offensiv gut gelaunt das Werk zu preisen, lässt er vom Willy-Brandt-Haus eine Pressemitteilung verschicken. Die zentralen Sätze darin: „Alle SPD-Ministerpräsidenten und alle Mitglieder der Verhandlungsgruppe der SPD haben gestern Nacht den Entwurf eines Koalitionsvertrags gebilligt. Alle werden jetzt in der SPD für seine Annahme werben.“ Später stimmt auch der Vorstand einstimmig dafür.

Das heißt: Bei einem Nein der Mitglieder wären sie alle schwer beschädigt, die Partei läge in Trümmern. Kann die Basis wirklich einen Vertrag ablehnen, der trotz lediglich 25,7 Prozent bei der Bundestagswahl so manches enthält, wofür die Partei gekämpft hat? Gabriel listet alles auf, verschweigt aber natürlich Kröten wie den Verzicht auf Steuererhöhungen für Wohlhabende, mit denen man etwa Ganztagsschulen hätte massiv ausbauen können - und wollen.

Aber dennoch wurden der Union noch sechs Milliarden Euro mehr bis 2017 für Kitas, Schulen und Hochschulen abgerungen. Die Habenseite ist insgesamt beachtlich: 8,50 Euro Mindestlohn ab 2015, fünf Milliarden Euro mehr für Kommunen bis 2017 und Verbesserungen bei der Rente. Doch ist es ein Werk der Generationengerechtigkeit, wenn über zehn Milliarden Euro pro Jahr künftig mehr für den Rentenbereich ausgegeben werden und dafür vielleicht Arbeitnehmerbeiträge steigen?

Gabriel betont in der Bundespressekonferenz: „Heute wie vor 150 Jahren wollen Sozialdemokraten das Leben für die Menschen besser machen. Dieser Koalitionsvertrag macht es besser, stärkt Deutschland und Europa.“ Deshalb würden die Mitglieder der SPD mit Sicherheit zustimmen. Er verweist zum Beispiel auf die ab Mitte 2014 geplante abschlagsfreie Rente mit 63 bei 45 Versicherungsjahren. Das helfe gerade Menschen, die harte körperliche Arbeit geleistet haben. Er nennt den „LKW-Fahrer, der 45 Jahre auf dem Bock gesessen hat“, den Fliesenleger und den Arbeiter im Stahlwerk. Bei den Sozialberufen müsse es mehr Wertschätzung geben, auch durch bessere Bezahlung, für die Bürger, „die 70 Kilo Mensch im Altenheim bewegen“, so Gabriel.

Die ersten Reaktionen zeigen: Selbst Parteilinke begrüßen das Erreichte, die SPD-Unterhändler waren am Ende so froh, dass sie nach der Einigung im Morgengrauen Arbeiterlieder wie „Wann wir schreiten Seit' an Seit'“ singen. Dennoch will man vorerst die Verteilung der Ministerien und deren SPD-seitige Besetzungen unter der Decke halten. Schließlich geht es ja angeblich niemandem der Vorderen um Posten. Zur Begründung, warum man in diese Koalition muss, nimmt Gabriel auch Anleihen bei Willy Brandt. Von dem stamme der Satz: „Kompromisse mit Sozialdemokraten sind die besseren Kompromisse.“ Das Votum sei ein neuer parteiinterner Ansatz von Brandts „Mehr Demokratie wagen.“

Gabriel skizziert die Energiewende als zentrales Projekt, das die Koalition in die Erfolgsspur bringen müsse - in der SPD wird er als Vizekanzler mit Zuständigkeit Wirtschaft/Energie gehandelt. Besonders die Chemie mit Seehofer scheint zu stimmen - auch wenn sich die beiden noch siezen. „Ich kann mir vorstellen, dass sich der Status mal ändert, wenn er den Mitgliederentscheid gewonnen hat“, sagt Seehofer an Gabriels Adresse. Und lächelt sein Haifischlächeln.

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