Parteien im Netz (2): SPD:Die roten Seiten

Lesezeit: 3 min

Wenn auch sonst alles den Bach runtergeht, die SPD kann sich an eine gute Nachricht klammern: "Wir sind die Internetpartei". Sie präsentiert sich im Netz auf Hochglanz poliert - doch der Lack blättert.

Irene Helmes

Stöbern Nutzer im Sommer 2008 auf den Internetseiten der Sozialdemokraten, landen sie in einer Welt aus leuchtendem Rot und Blau, voller guter Nachrichten. Führungskrise? Richtungsstreit? Clement-Skandal? Nie dagewesener Mitgliederschwund? Sei's drum, im Netz erlebt die SPD rosige Zeiten.

Schöne neue Welt: Wenigstens im Internet will sich die SPD von ihrer besten Seite zeigen. (Foto: Screenshot: Youtube)

Seit dem 1. August ist es offiziell: "Wir sind die Internetpartei", hat Generalsekretär Hubertus Heil verkündet. Seinen Angaben zufolge zählt die Community meineSPD.net nun 20.000 Mitglieder, damit sei "die SPD auf dem Gebiet Web 2.0 wieder Vorreiter aller Parteien". Hört sich gut an.

Ein "staunender Nutzer" wagt sich ins Netz

Und nach der Hiobsbotschaft des Sommers wird die Partei um jedes Mitglied froh sein: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hat die SPD ihre Rolle als mitgliederstärkste Volkspartei verloren. Seit den siebziger Jahren hat sich die Zahl der Deutschen mit rotem Parteibuch von rund einer Million auf nun knapp 530.000 fast halbiert. Wenigstens virtuell die Nummer eins sein - ein kleiner Trost.

Gerade in schlechten Zeiten will sich die Partei mit ihren Online-Aktivitäten von ihrer besten Seite zeigen. Experten helfen dabei: Wissenschaftler, Polit-Berater und prominente Blogger sitzen seit November 2007 im Online-Beirat der SPD, um Parteichef Kurt Beck - nach eigener Aussage "ein staunender Nutzer" - und seine Partei fit zu machen für die Ära der Internet-Politik.

Ein Ergebnis dieser Bemühungen ist der hauseigene Youtube-Kanal. SPD:vision ist seit neun Monaten online, in dieser Zeit haben sich hier 57 Videos angesammelt.

Der Chef geht mit gutem Beispiel voran. Sollen die ewig quietschgelben Spaßliberalen der FDP ruhig auf Youtube ihr komödiantisches Talent erproben, so scheint seine Botschaft, die SPD erklärt in der Zwischenzeit ruhig und geduldig den Erwachsenen ihr Programm. Wieder und wieder und wieder. Die "Playlist Kurt Beck" umfasst derzeit 21 Filme. Seit Dezember dürfen Nutzer "Ihre Frage an Kurt Beck" stellen. Dass hier Ernst im Verzug ist, zeigte schon die Art, mit der er im Dezember 2007 seine Youtube-Karriere einläutete.

Tadellose Bürstenfrisur mit Vokuhila-Charme, dunkler Anzug, Lesebrille, noch schnell ein paar Akten umblättern. Dazu statt Popmusik ein geschäftiges Elektro-Intro, das den User in die erwartungsvolle Hab-Acht-Stellung eines "Hart aber fair"-Zuschauers versetzt. Keine Mätzchen, keine Effekte. Ein Mann und ein Programm - und das für ein Fünftel der Produktionskosten, die der Videoblog von Kanzlerin Merkel Woche für Woche verschlingt, wie Heil stolz vermeldet.

So weit, so gut, doch was sind Gesprächsangebote dieser Art wert?

Im zweiten Teil regt sich Protest, zwischendurch verirrt sich ein kleiner Spaß ins Netz - und Singvögelchen verbreiten Nostalgie.

Zum Gähnen langweilig und weit unter den Möglichkeiten eines Videoblogs seien die Beck-Filme, lästern manche Nutzer. Auch der Blick auf die Fakten ernüchtert: Youtube weist für die meisten von Becks Frage-Antwort-Filmchen einige Tausend Aufrufe aus. Nicht wenig, aber auch nicht viel, wenn man bedenkt, dass Videos über Experimente mit Coca-Cola und Mentos oder als Schildkröte geschminkte Kinder bei Youtube schon locker mehrere Millionen Aufrufe gesammelt haben.

Eine schlechte Nachricht und ein rappender Finanzminister

Noch dazu: In den seltensten Fällen lassen sich die Nutzer zu Kommentaren motivieren, letztlich diskutieren kaum mehr als ein paar Stammgäste. Und wie überall sonst: Auf einige der Kommentare bei SPD:vision würden die Macher wohl gern verzichten.

Wie kürzlich bei meineSPD.net. "Keine Zukunft mit Kurt Beck!" hieß in der vielgepriesenen Community ein Forum, das ein Juso aus Krefeld eingerichtet hatte. Darin sollte es um den "Schlingerkurs des Parteichefs" gehen. Nach sechs Wochen schoben die Seitenbetreiber Mitte Juli der Debatte einen Riegel vor und sperrten das Forum. Der 20-jährige Betreiber ging an die Presse, schimpfte in der Frankfurter Rundschau von Zensur. Eine weitere schlechte kleine Nachricht im Flut der schlechten Nachrichten über die SPD.

Doch zwischendurch verirrt sich auch mal ein kleiner Spaß zwischen die vielen ambitionierten Online-Aktionen: So überraschte Peer Steinbrück im März mit der Nummer "I love cash". Eine Comic-Version des Finanzministers rappte auf der gleichnamigen Website als "Rap-P€€R der Nation" zwischen leichtbekleideten jungen Frauen immer wieder "I love cash". Ein Gag der damaligen Internet-Agentur der SPD - der Steinbrück nach den Worten seines Sprechers laut zum Lachen brachte.

Aufmerksamkeit war garantiert, jede Menge Spott auch. Das Cash-Experiment verschwand bald wieder aus dem Netz. Lustig wird es seither wieder unbeabsichtigt. Schnell rutscht der User von den wohlausgewählten Beiträgen von SPD:vision zu den "ähnlichen" Videos, die Youtubes Automatismen anbieten. Darunter sind Ausschnitte aus TV-Sendungen, die Beck als Igel Mecki karikieren oder vom Kabarettisten Matthias Richling imitieren lassen.

Nostalgie und Inspiration

Wie zum Ausgleich weckt die SPD gezielt Erinnerungen an bessere Zeiten - mit dem Schwarzweißporträt des Partei-Helden Willy Brandt namens "Einer für alle", mit bunten Zeichentrick-Wahlfilmchen aus den fünfziger Jahren.

Dort beobachten die beiden Cartoon-Vögelchen "Plietsch und Plemm" (nicht zu verwechseln mit "Plisch und Plumm" alias Franz Josef Strauß und Karl Schiller) die Lage der Nation und zwitschern fröhlich die nahende Rettung durch die Sozialdemokratie ins Land. "Na, das ist prima - und das will die SPD!". So manch deprimiertem Genossen wird bei der Erinnerung an diese Zuversicht das Herz aufgehen.

Mit Blick nach vorne dagegen steht fest: Der Wahlkampf 2009 wird neue Maßstäbe für die politische Online-Kommunikation setzten. Dafür könnten sich die deutschen SPDler auch international inspirieren lassen. Aktivisten der Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) wollen ein Grundsatzprogramm für die kommenden Europawahlen in einem interaktiven Prozess erstellen - über eine Website.

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