Parteien:Analyse: «Kein Automatismus» zur großen Koalition

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Berlin (dpa) - Jetzt werden natürlich diese Bilder vom 23. Mai herausgeholt. Angela Merkel im fröhlichen Plausch mit Sigmar Gabriel. Die deutsche Sozialdemokratie feiert im Leipziger Gewandhaus ihr 150-jähriges Bestehen.

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Berlin (dpa) - Jetzt werden natürlich diese Bilder vom 23. Mai herausgeholt. Angela Merkel im fröhlichen Plausch mit Sigmar Gabriel. Die deutsche Sozialdemokratie feiert im Leipziger Gewandhaus ihr 150-jähriges Bestehen.

Der SPD-Chef bringt sogar einen gemeinsamen Breakdance mit der Kanzlerin ins Spiel: Nach einer fetzigen Tanz-Einlage der „Flying Steps“ hatte ihm Frankreichs Präsident François Hollande zugeflüstert, das könne er doch auch mal machen. „Aber nur, wenn Frau Merkel mitmacht“, sagt Gabriel. Die Kanzlerin lacht - und geht erwartungsgemäß nicht auf die Aufforderung ein.

Mit diesem Freitag und dem grünen Licht vom SPD-Parteikonvent für erste Gespräche ist es wahrscheinlicher geworden, dass die beiden die Führungsspitze einer großen Koalition bilden könnten, zusammen mit CSU-Chef Horst Seehofer. Gabriel schätzt beide aus Zeiten der großen Koalition 2005 bis 2009. Damals kamen der Bundesumweltminister Gabriel und der Landwirtschaftsminister Seehofer gut miteinander aus. Mit Merkel setzte der heute 54-Jährige den Klimaschutz oben auf die Agenda, es gab schöne Bilder vor grönländischen Eisbergen.

„Ich halte ihn für einen absolut seriösen und inhaltlich kompetenten Gesprächspartner“, sagt Seehofer nun in der „Bild am Sonntag“ über Gabriel. Aber der Widerstand in der SPD gegen das ungeliebte Bündnis ist so groß, dass Gabriel auf schmalem Grat wandert. Teilnehmer des nicht-öffentlich tagenden Parteikonvents berichten aber, dass der SPD-Chef seine Sache derzeit sehr gut mache, viel zuhöre, alle mitzunehmen versuche. Er will nichts tun, was den Laden im Jubiläumsjahr zerreißt. Mit nur fünf Gegenstimmen billigten die 200 Delegierten nach vier Stunden Beratung und 54 Redebeiträgen den Verfahrensvorschlag Gabriels in Sachen großer Koalition.

Das ist zunächst einmal ein starkes Mandat für die sechsköpfige Sondierungskommission der SPD, die aus Gabriel, Generalsekretärin Andrea Nahles, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, dem unterlegenen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz und der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft besteht. Steinbrück dankte die Partei sehr emotional für seinen Einsatz im Wahlkampf - er zieht sich nach dem Koalitionspoker aus der ersten SPD-Reihe zurück und wird wohl wieder, was er schon vor seiner Kandidatur war: ein prominenter Hinterbänkler im Bundestag.

Gabriel ist nun der entscheidende Mann. Die Sprachregelung ist, es gebe „keinen Automatismus“ hin zur großen Koalition: „Messlatte“ der Gespräche soll das SPD-Wahlprogramm sein. Aber in dem Beschluss wird nichts Konkretes gefordert. Eine Politik „für gute Arbeit und die gerechte Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme, (...) und eine gerechte und auskömmliche Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik“, fordert die SPD unter anderem als Basis der Gespräche - diese Punkte könnte auch die Union unterschreiben.

Wie geht es nun weiter? Anfang der Woche wohl Sondierungen mit CDU/CSU. Liegen Ergebnisse vor, wird der formal nur unterbrochene Konvent - das höchste SPD-Beschlussgremium zwischen Parteitagen - wieder im Berliner Willy-Brandt-Haus zusammengerufen, eventuell Ende kommender Woche. Dann folgt der eigentliche Kraftakt: Kann der Konvent überzeugt werden, Koalitionsverhandlungen zuzustimmen?

Das ist die große Unbekannte. Eigentlich müsste Merkel der SPD daher schon in den Sondierungen relativ viel bieten. Denn die Grünen wird die Kanzlerin zumindest aus SPD-Sicht kaum als Druckmittel einsetzen können - sie sehen sich wegen der Neuaufstellung derzeit selbst nicht als regierungsfähig. Stimmt der Konvent Verhandlungen zu, könnte der Koalitionsvertrag ausgehandelt werden, etwa einen Monat lang. Aber dann käme ein Novum. Die rund 470 000 Mitglieder der SPD sollen über den Eintritt in eine große Koalition entscheiden.

„Unsere Leitlinien sind die Inhalte“, so Gabriel. Es gehe nicht um Posten und das Regieren um des Regierens Willen, betonen sie in der Partei. „Wir haben weder Angst, dass es Schwarz-Grün gibt (...) und wir haben auch keine Sorge, in die Regierung zu gehen, wenn die Inhalte stimmen. Und wir haben auch keine Angst vor Neuwahlen, wenn solche Verhandlungen scheitern“, fasst Gabriel die Lage zusammen.

Gabriel könnte Vizekanzler werden - aber auch kolossal scheitern, sollte ein Mitgliederentscheid scheitern. „Willy Brandts Worte „Mehr Demokratie wagen“ gelten auch für die innerparteiliche Demokratie, sagt er. Er selbst hatte eine Parteireform auf den Weg gebracht, die die Mitbestimmung stärkt. Dass dennoch Steinbrück im kleinen Kreis als Kanzlerkandidat auserkoren wurde, sorgte für viel Unmut.

Nach einem Entscheid, der an einem einzigen Tag in den Ortsvereinen stattfinden könnte, soll noch der Parteitag am 14. November grünes Licht geben. Die SPD will keinen zusätzlichen Sonderparteitag. Daher ist das Zeitfenster eng.

Ausgang völlig ungewiss. Viel hängt von dem mitgliederstärksten Landesverband NRW ab. Wird Hannelore Kraft ihren Frieden mit der großen Koalition schließen - wenn zum Beispiel ein steigender Spitzensteuersatz mehr Geld für die Kommunen und die Infrastruktur einbringt? Von ihr hängt vieles ab. Vor allem, wenn der Konvent den nächsten, vorentscheidenden Schritt zu beraten hat: Koalitionserhandlungen - ja oder nein? SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer formuliert die schwierige Lage philosophisch: „Der Weg ist das Ziel.“

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