Ostdeutschland:Merkels blinder Fleck

Die Bundeskanzlerin verkennt die Bedürfnisse ihrer Landsleute im Osten.

Von Cerstin Gammelin

Bundeskanzlerin Angela Merkel glaubt offenbar, die Interessen der neuen Länder seien auch künftig mit einer Ostbeauftragten im Wirtschaftsministerium ausreichend vertreten. Jedenfalls hält sie es nicht für nötig, eine im Osten sozialisierte Person ins Kabinett zu holen. Mit Chuzpe weist sie darauf hin, dass ja auch sie zur Regierung zähle.

Das ist, mit Verlaub, ein dreister Versuch, ein Versäumnis kleinzureden. Merkel hat in zwölf Jahren Kanzlerschaft nie besonderes Interesse für ihre Landsleute gezeigt. Dafür hat sie im Wahlkampf die Quittung bekommen in Form eines formidablen Ergebnisses für die AfD. Die Menschen im Osten nahmen Merkel nicht wahr als jemanden, der sich für ihre reale Gleichberechtigung interessiert.

Natürlich kann man einwenden, dass 28 Jahre nach dem Fall der Mauer Ost und West keine Kategorien mehr sein sollten. Aber so einfach ist es nicht. Die in der früheren DDR gepflegte besondere Kultur des Miteinanders wirkt über die Generationen nach. Und das Unrecht aus dem Einigungsvertrag ist nicht geheilt. Nur jemand, der das alles kennt, kann es im Kabinett vortragen. Dass Merkel dies vernachlässigt, ist das eine. Schlimmer ist, dass sie so tut, als brauche der Osten nur mehr Geld, um ruhiggestellt zu werden. Das impliziert ihre Ankündigung, einen Ostbeauftragten an die Fördertöpfe ins Wirtschaftsministerium zu setzen. Sie ignoriert damit, dass der Osten mehr will als Geld: gleichberechtigt mitregieren.

© SZ vom 02.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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