Ostasien:Ende der Klischeeblütenzeit

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Wieland Wagner: Japan - Abstieg in Würde. Wie ein alterndes Land um seine Zukunft ringt. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2018. 254 Seiten, 20 Euro. (Foto: N/A)

Wieland Wagner erklärt Japans konsensorientierte Gesellschaft jenseits von Klischees.

Von Werner Hornung

Klischees sind Wegweiser zu unbedachten Trampelpfaden, etwa ins Land des Lächelns. Schon die Titelseiten vieler Bücher über das ostasiatische Inselreich zeigen Kimonos oder Kirschblüten. Anders dagegen der lesenswerte Band des ehemaligen Spiegel-Journalisten Wieland Wagner, er trägt bei zum Ende der Klischeeblütenzeit. Bereits das Sonnensymbol auf dem Einband zeigt Risse; und der Titel verspricht wenig Gutes: "Japan - Abstieg in Würde".

Wagner, verheiratet mit einer Japanerin, beschreibt krisenhafte Veränderungen im demografischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich. Der einstige Musterknabe Nippon geht ja inzwischen teils am Stock und schleppt hohe Staatsschulden mit sich. Zwischen der Metropolregion Tokio und ländlichen Präfekturen hat der Autor eine Gesellschaft kennengelernt, die mental völlig anders geprägt ist als unsere. Ein beschriftetes Briefkuvert verdeutlicht das: Wird in traditioneller Form adressiert, dann unterscheidet sich die Reihenfolge von unserer Anordnung. Japaner nennen zuerst die Ortsangaben, anschließend den Familien- und Vornamen. Dies ist typisch für den anderen Stellenwert, den das Individuum in Ostasien hat. Hierarchisch eingebunden in seine Gruppe hat sich der Einzelne konform zu verhalten. Bei Abweichungen funktioniert die soziale Kontrolle durch die Stärkeren, die eine sprichwörtliche Antwort parat haben: "Ein hervorstehender Nagel wird eingeschlagen."

In seinem Nachruf auf Nippons Elektronikindustrie geht Wieland Wagner am Beispiel des Toshiba-Konzerns detailliert auf die negativen Folgen dieser "Kultur des kollektiven Gehorsams" ein. Dabei erinnert er übrigens auch an den Dieselskandal hierzulande, wo ja ebenfalls Beschäftigte zu Befehlsempfängern degradiert wurden. Ein weiteres Problem, das beide Länder zunehmend belastet, ist die Vergreisung. Weltweit hat Japan die älteste Bevölkerung. Es fehlt seit Langem der nötige Nachwuchs und in manchen Branchen das Fachpersonal. Kommt noch (wie im Ruhrgebiet) ein industrieller Strukturwandel hinzu, dann sieht es so trist aus wie im heutigen Yubari (Hokkaido). Aus der einst wohlhabenden Kohle-Metropole ist eine armselige Siedlung geworden, in der ungefähr 8000 alte Leute leben. Kommunale und medizinische Leistungen gibt es für sie kaum. So schlecht geht es freilich nicht allen Japanern. Wagners Fazit fällt deshalb verhaltener aus: "Japan legt Wert auf Harmonie und Konsens. Das kann ausländische Beobachter bisweilen zur Verzweiflung treiben, vor allem dann, wenn Missstände offensichtlich unter den Teppich gekehrt werden. Andererseits wäre es falsch zu behaupten, dass Japan stillsteht. Die Gesellschaft wandelt sich, aber auf ihre eigene, ihr möglicherweise angemessenere Weise."

© SZ vom 18.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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