Orkanschäden am Hauptbahnhof Berlin:Stahl im Sturm

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Die Schäden am Berliner Hauptbahnhof und fachen einen alten Streit neu an. Die Frage, um die es geht: Wer hat Schuld, dass der Orkan einen tonnenschweren, 8,40 Meter langen und vielleicht 40 oder 50 Zentimeter hohen Stahlträger von den Auflagern reißen konnte?

Michael Bauchmüller und Gerhard Matzig

Vielleicht war das alles doch ein Omen. Damals, als im Berliner Hauptbahnhof ausgerechnet in dem Moment der Strom ausfiel, als die versammelte Bahn- und Politik-Elite den roten Knopf drücken wollte, um Europas größten überdachten Bahnknotenpunkt zu eröffnen. Ja, seither hat die Bahn ein neues Schmuckstück. Aber auch viel Ärger.

Orkanschäden am Berliner Hauptbahnhof: "Mehdorn pfuscht am Bau." (Foto: Foto: ddp)

Die Parallelen sind gespenstisch. Keine acht Monate nach der Eröffnung steht Bahnchef Hartmut Mehdorn ziemlich genau an der Stelle, an der seinerzeit der Knopf versagte. Wieder sind Kamerateams angerückt, stehen die Gleise leer. Der Bahnhof ist gesperrt, seit ein zwei Tonnen schwerer Eisenträger sich in der Nacht durch den Sturm gelöst hat.

Und Mehdorn wirkt deutlich weniger gelassen als einst im Mai: ,,Es war keine Katastrophe.''

Wenigstens das. Mit großer Wucht muss der Träger aufgeprallt sein, hat ein Loch in den Treppenaufgang an der südwestlichen Ecke des Bahnhofs gerissen und sich dann quer über die Treppe gelegt. Er wolle, sagt Mehdorn, über die Ursache nicht spekulieren. Aber: ,,Hier werden sich Architekt und Statiker ein Bild machen müssen.''

Später wird Adolf Pütz, der einst für die Bahn den Bau mit überwachte, noch ein paar Anhaltspunkte geben. ,,Von den Trägern geht keine Gefahr aus'', sagt er beschwichtigend - wie auch, sie tragen ja nichts. Denn der stählerne Riegel, der nächtens fiel, einen zweiten mitriss und einen dritten lockerte, diente vor allem der Rhythmisierung der Fassade, also der Ästhetik. Zwei Tonnen zum Angucken.

Meldungen über den "drohenden Einsturz waren lächerlich

Äußerlich kaum von anderen Teilen zu unterscheiden, verzieren viele Stahlteile den Hauptbahnhof nur. Weil sich das Gerüst mit dem Wetter, mit Wärme und Frost bewegen können muss wie eine Brücke, sind die Teile beweglich befestigt. Sie liegen nur ,,auf kleinen Blechen'', sagt Pütz erst, um die ,,Bleche'' nach Rücksprache mit Bahn-Pressesprechern gegen solider klingende ,,Bänke'' auszutauschen.

Aber abseits solch rhetorischer Aufrüstung wirkt die Architektur nahezu simpel. Es gibt - überall in der Welt - Millionen von Bürohäusern, die eine ähnliche, mehrschichtig organisierte Fassade aufweisen. Von innen nach außen funktioniert sie so: Im Kern der beiden Bügelbauten, die sich über die Bahnhofshalle wölben, befindet sich das statisch wirksame Stahlbetonskelett.

Hier, natürlich völlig unbeschädigt vom Sturm, werden die maßgeblichen Kräfte nach unten geleitet, weshalb frühe Meldungen über den ,,drohenden Einsturz'' des Bahnhofs (oder auch nur der Fassade) lächerlich sind. Umschlossen wird dieser Kern von einer Klimahülle aus Glas. Und nun erst, in der äußersten Struktur, geht es um jene sogenannte Pfosten-und-Riegel-Konstruktion, die beschädigt wurde.

Keine Schrauben, keine Schweißnähte

Man kann sich das Ganze wie ein Fachwerk vorstellen. Als Pfosten werden dabei die vertikalen Teile bezeichnet, als Riegel die horizontalen. Die Pfosten wirken statisch und tragen ebenfalls Kräfte aus den innenliegenden Decken bis ins Erdreich ab. Die Riegel, die aus Stahl und hohl sind (,,Kastenträger''), tragen dagegen nur sich selbst.

Von Gleitlagern gehalten und durch seitliche Schienen geführt, sind sie zwischen die vertikalen Pfosten eingepasst. Sozusagen: geklemmt. Schrauben oder Schweißnähte gibt es primär nicht.

Die Frage, um die es geht, lautet: Wer hat Schuld, dass der Orkan einen tonnenschweren, 8,40 Meter langen und vielleicht 40 oder 50 Zentimeter hohen Stahlträger von den Auflagern reißen konnte - wie ein Blatt vom Baum.

Diese Frage wird nun ein Gutachten beantworten müssen. Das Beweissicherungsverfahren ist eingeleitet. Hartmut Mehdorn jedenfalls, der bereits auf die Architekten und Statiker zeigt, muss sich seinerseits daran erinnern lassen, dass er die Bauleitung partout nicht den Architekten überlassen wollte: Sie lag bei der Bahn und bei den von ihr beauftragten Firmen.

In diesem Zusammenhang wird auch zu klären sein, ob die Montage der Bauteile, die aus Prestigegründen unter enormem Zeitdruck stand (WM 2006!), zu Fehlern geführt hat. Die Anordnung und Dimensionierung der Bauteile, hier kämen Entwurf (Architekten) und Statik ins Spiel, erscheint als Ursache unwahrscheinlich: Für die Berücksichtigung von Windlasten gelten Normen - das gilt auch für extreme Windlasten, sogar für ,,Kyrill''.

Es ist daher unsinnig, nun wieder einmal den Bau-TÜV zu diskutieren. Mit dem Einsturz der Halle in Bad Reichenhall, wo es um etliche Tote unter einem einzigen Dach gegangen ist, ist der aktuelle Wintersturmschaden von Berlin nicht zu vergleichen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt sich über die Ursache ohnehin nur spekulieren.

"Mehdorn pfuscht am Bau"

Der Bau eines Bahnhofes ist komplex. Vom Architekturbüro gmp (von Gerkan, Marg und Partner, Hamburg) stammten räumliche Organisation und Konstruktionsprinzip, vom Statiker (Schlaich, Bergermann und Partner, Stuttgart) kamen die statisch konkreten Berechnungen, die Stahlbaufirma (Donges GmbH, Darmstadt) verantwortete die Produktion der Bauteile und deren Montage.

Prüfstatik sowie Bauleitung lagen schließlich in Händen der Bahn. Als Fehlerquelle kommt bei der Umsetzung des Entwurfs also mancherlei in Frage - und am Ende war's natürlich der Wind.

Aber die Bahn wäre nicht die Bahn, würde der gefallene Zierrat nicht gleich zum Politikum. ,,Ein nicht hinnehmbares Versagen des Bauherrn Deutsche Bahn'' konstatiert der oberste grüne Bauexperte Peter Hettlich. ,,Mehdorn pfuscht am Bau.'' Vielen Abgeordneten kommt der Zwischenfall gerade recht. Sie wollen schon längst von Mehdorn wissen, warum er sich so sehr in den Bau des Hauptbahnhofes einmischte und unter anderem die Länge des Bahnsteigdaches verkürzte.

Am vorigen Mittwoch erst wollte der Haushaltsausschuss des Bundestages den Bahnchef einvernehmen. Er will wissen, warum aus weniger letztlich mehr wurde, warum das kürzere Dach teurer wurde als das ursprünglich geplante längere, und er will sich die Fragen von Mehdorn persönlich beantworten lassen.

Wer den Bahnchef nicht mag, und das trifft auf manchen im Bundestag zu, der würde die Pechsträhne Berlin HBF gern noch verlängern: um Mehdorn selbst.

© SZ vom 20.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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