Etwa 425 Kilometer sind es von der türkischen Hauptstadt Ankara bis nach Istanbul, der größten Stadt des Landes. Kemal Kılıçdaroğlu, der Oppositionsführer von der Republikanischen Volkspartei CHP, ist die gesamte Strecke zu Fuß gelaufen, aus Protest gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Nach Meinung von Kılıçdaroğlu hat sich im Zuge des nach dem Putschversuch verhängten Ausnahmezustands ein "Klima der Angst" in der Türkei breitgemacht.
Begonnen hatte Kılıçdaroğlu den Protestzug am 15. Juni. Während er zu Beginn nur begleitet von einigen hundert Polizisten über die Landstraße marschiert war, wurde die Strecke zuletzt wegen der Vielzahl der Teilnehmer weiträumig für den Verkehr gesperrt.
Anlass für den "Gerechtigkeitsmarsch" war die Verurteilung des CHP-Abgeordneten Enis Berberoğlu. Er war wegen eines Artikels über geheime Waffenlieferung an islamistische Rebellen in Syrien zu 25 Jahren Haft verurteilt worden.
Die Kundgebung fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Es wurde befürchtet, dass es Unruhen geben könnte.
Die letzten drei Kilometer ging Kılıçdaroğlu alleine. Seinen Protest beendete er am Abend mit einer Massenkundgebung in Istanbul.
Schon am Nachmittag versammelten sich deshalb Hunderttausende Menschen im Stadtteil Maltepe am Marmara-Meer. Sie schwenkten türkische Fahnen und skandierten "Recht, Justiz, Gerechtigkeit".
"Wir wollen, dass alle antidemokratischen Praktiken enden. Wir wollen kein Ein-Mann-System, wir wollen ein parlamentarisches System", rief der CHP-Chef.
Der triumphale Auftritt Kılıçdaroğlu wirkte fast so, als habe er eine Wahl gewonnen. Doch Wahlen gewinnt die CHP schon lange nicht mehr. Seit 2002 regiert die islamisch-konservative AKP das Land.
Die Oppositionsarbeit von Kılıçdaroğlu, der seit sieben Jahren Vorsitzender der CHP ist, empfanden viele als lahm. Doch mit dem Protestmarsch hat er neue Popularität und Format gewonnen. Während regierungstreue Zeitungen teils vom "Marsch der Verräter" schrieben, lobten andere Kolumnisten, dass es Kılıçdaroğlu erstmals gelungen sei, mit dem Marsch ein Thema zu setzen.
Manche Anhänger bezeichnen ihn wegen der leichten Ähnlichkeit und der Protestaktion gar als Mahatma Gandhi der Türkei - in Anlehnung an den Führer der indischen Freiheitsbewegung.