Ohio:Das Schlachtfeld am Eriesee

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In Ohio wird die Präsidentschaftswahl entschieden - der Bundesstaat ist ein Amerika en miniature.

Von Stefan Ulrich

Der amerikanische Präsident wusste, worauf er seine letzten Energien in diesem Wahlkampf fokussieren musste. Daher bestieg George W. Bush am Dienstag gleich nach der Stimmabgabe im heimischen Crawford, Texas, seinen Präsidentenhubschrauber. Das Ziel: Ohio.

Lange Schlangen vor den Wahllokalen in Ohio. (Foto: Foto: AP)

Insgesamt 33-mal hat der Verteidiger des Weißen Hauses während seiner ersten Amtszeit diesen Battleground State, diesen Schlachtfeldstaat, besucht.

Spitzendemokrat John Kerry war allein seit März 23-mal in den nordöstlichsten Staat des Mittleren Westens gekommen. Zuletzt rief Bush sogar persönlich Wähler an, um sie zur Stimmabgabe zu motivieren. "Ich garantiere Ihnen, ich bin es wirklich", versicherte er einem skeptischen Bürger.

Der Grund des Einsatzes: Dem 116.000 Quadratkilometer großen Bundesstaat am Eriesee kommt besondere Bedeutung zu. Noch nie wurde ein Republikaner US-Präsident, der nicht auch Ohio für sich errungen hatte.

Folgen des globalen Wettbewerbs

Gerade dort aber hatte Bush in diesem Wahlkampf einen schweren Stand. Denn der alte Industriestaat bekam die Folgen des globalen Wettbewerbs besonders schmerzhaft zu spüren. Etwa 200.000 Jobs gingen in den vergangenen vier Jahren verloren.

Also legte sich George Bush am Dienstag noch einmal extra für Ohio ins Zeug. Und er hatte Erfolg damit: Nach dem vorläufigen Ergebnis setzte sich der Präsident mit 136.000 Stimmen Vorsprung gegen seinen Herausforderer durch und sicherte sich so die 20 Wahlmänner des Schlüsselstaates.

Damit hätte Bush die Mehrheit im gesamtamerikanischen Wahlmännergremium erreicht. Der Präsident, der sich gern auf den Schöpfer beruft, dürfte sich vom Staatsmotto Ohios bestätigt fühlen: "Mit Gott sind alle Dinge möglich."

Die Demokraten aber sind entschlossen, doch noch das Unmögliche möglich zu machen. Sie wollen das Ergebnis in Ohio umdrehen und Kerry zur Präsidentschaft verhelfen. "Die Auszählung in Ohio ist noch nicht abgeschlossen", hieß es am Mittwoch aus dem Kerry-Lager.

"Es müssen noch 250.000 Stimmen gezählt werden. Wir glauben, wenn das geschehen ist, dann wird Kerry Ohio gewinnen." Die Hoffnung der Demokraten ruht zum einen auf schätzungsweise 140.000 Stimmen, die von so genannten provisorischen Wählern abgegeben wurden - also von Bürgern, deren Wahlberechtigung noch überprüft werden muss.

"Tief durchatmen und entspannen"

Zum anderen ruht sie auf rund 100.000 Briefwahlstimmen, die ebenfalls noch gezählt werden müssen. Mit einem Ergebnis in Ohio ist also frühestens Mitte November zu rechnen. Wahlleiter Kenneth Blackwell empfiehlt bis dahin: "Tief durchatmen und entspannen."

Heere von Anwälten versuchen, diese Wartezeit kreativ zu nutzen, um ihre Parteien für das Finale in Stellung zu bringen. Schon laufen Klagen, um einheitliche Standards bei der Auszählung der provisorischen Stimmen durchzusetzen. Die Republikaner verlangen zudem, dass ihre Vertreter die Erfassung dieser Stimmen überwachen dürfen.

Die Wahl selbst scheint in Ohio entgegen mancher Befürchtungen - und Anwaltshoffnungen - weitgehend glatt verlaufen zu sein. Allerdings gab es Beschwerden über die langen Schlangen vor den Wahllokalen. Den Demokraten zufolge mussten manche Wähler bis zu fünf Stunden ausharren.

Analysten beginnen unterdessen bereits, das Ergebnis in Ohio aufzubereiten. Der wegen seiner vielen Rosskastanien "Buckeye-State" genannte Bundesstaat gilt als ein Amerika en miniature.

Mit seinen Ballungszentren wie Cleveland, Cincinnati und der Hauptstadt Columbus einerseits sowie den riesigen Wäldern und Feldern andererseits spiegelt Ohio die Spaltung Amerikas in eine urban-demokratische und eine ländlich-republikanische Hälfte wider.

85 Prozent der 11,4 Millionen Einwohner sind Weiße, 11,5 Prozent Schwarze, 2 Prozent Lateinamerikaner und 1,2 Prozent Asiaten. Für Meinungsumfragen in den USA wird gerne stellvertretend auf Ohio zurückgegriffen.

Und auch die jetzige Präsidentschaftswahl bestätigt die verblüffende Parallele zwischen diesem Teil und dem Ganzen: In Ohio siegte Bush über Kerry mit 51 zu 49 Prozent der Stimmen; in den gesamten USA mit 51 zu 48 Prozent.

Kerry ist es nicht gelungen, die schwere Strukturkrise des von Metallverarbeitung und Maschinenbau geprägten Bundesstaates auszuschlachten.

Mit sechs Prozent Arbeitslosigkeit liegt Ohio einmal nicht im US-Durchschnitt, sondern deutlich darüber. Die Republikaner erinnerten die Wähler aber offensichtlich erfolgreich daran, dass bereits unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton viele Jobs nach Asien ausgelagert wurden.

Entsprechend gelassen sehen die Republikaner jetzt der Begutachtung der provisorischen Wahlzettel und eventuellen juristischen Klagen entgegen: Der Vorsprung George Bushs scheint einfach zu groß zu sein, um die Wahlschlacht im Battleground State noch zu verlieren.

© SZ vom 4.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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