Özdemir neuer Grünen-Chef:"Yes we Cem"

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Die Grünen wählen Cem Özdemir mit erstaunlich großer Mehrheit zum neuen Parteivorsitzenden. Auch, weil sie ihn nicht zum Opfer ihrer Flügelkämpfe machen wollten. Dagegen scheiterte Fritz Kuhn bei der Wahl des Parteirats.

Thorsten Denkler, Erfurt

Am Ende haben die Flügel geliefert. Claudia Roth 82,7 Prozent. Und Cem Özdemir, der Neue im grünen Führungsduo mit 79,2 Prozent nur knapp darunter. Viel war spekuliert worden, ob die Wahl gut gehen würde, ob er ein anständiges Ergebnis bekommt. Er fährt für grüne Verhältnisse ein mehr als anständiges Ergebnis ein. Ein Frau mit grünem Kopftuch hebt jubelnd die Arme, als das Ergebnis bekannt gegeben wird. Sie trägt einen Button am Schulterriemen ihrer Handtasche. Ein Bild von Özdemir ist darauf zu sehen. Dazu der Spruch: "Yes we Cem."

Frei nach Barack Obamas Slogan "Yes we can" bastelte diese Grünen-Delegierte einen "Yes we Cem"-Button (Foto: Foto: dpa)

Dagegen erlitt Bundestags-Fraktionschef Fritz Kuhn am Abend eine herbe Niederlage bei der Wahl des Parteirats. Der 53-Jährige bekam nicht die erforderliche Zahl der Delegiertenstimmen. Teile der Partei lasten ihm an, dass er sich bei der Aufstellung der Kandidaten für die Bundestagswahl in seinem Landesverband Baden-Württemberg nicht für Özdemir eingesetzt hatte.

Die Grünen in Baden-Württemberg hatten Özdemir einen sicheren Listenplatz für den Bundestag verweigert. Das hat für einige Unruhe in der Partei gesorgt. Die gängige Interpretation war: Die Baden-Württemberger wollten ihm nicht neben dem Parteivorsitz auch noch ein Bundestagsmandat geben. Da hat das alte grüne Prinzip der Trennung von Amt und Mandat durchgeschlagen: Nichts gegen Cem, aber ein Amt reicht. Ein gute Theorie. Nur war sich niemand bis zu Wahl sicher, dass sie auch stimmt. Nun hat Özdemir sein Spitzenamt also bekommen.

Özdemir ist ja kein Neuer in der Bundespolitik. Als Bundestagsabgeordneter hat der Realo das Thema Innenpolitik bearbeitet. Im Wahljahr 2002 stolperte er über einen nicht ganz koscheren Kredit und die Bonusmeilen-Affäre. Später der politische Neuanfang im Europaparlament. Jetzt die erfolgreiche Kandidatur für den Bundesvorsitz. Ein "großes Comeback", lobt Fraktionschef Fritz Kuhn.

Es war gut für ihn, dass an diesem Samstag erst Claudia Roth gewählt wurde. Die Realos bewiesen mit dem guten Ergebnis für die alte und neue Parteichefin, dass sie sich an Absprachen halten. Der linke Flügel musste dann ebenfalls liefern. Er hat geliefert. Der interne Streit wurde an diesem Tag nicht auf Özdemirs Rücken ausgetragen.

Letztlich aber hat wohl Özdemir selbst den größten Anteil an seinem Wahlerfolg. Zu Beginn seiner Bewerbungsrede klammerte er sich an sein Pult. Kaum Bewegung im Körper, die Augen fest auf das Manuskript gerichtet. Aber die Rede kommt an. Immer wieder wird er von Applaus unterbrochen. Die Delegierten jubeln und johlen.

Fraktionsvize Jürgen Trittin, sagt später zu sueddeutsche.de, Özdemir habe "die Mitte der Partei" angesprochen. Ohne das hätte er so ein Ergebnis nicht bekommen.

Özdemir zeigt, wie er sich die kommenden Auseinandersetzungen im Wahljahr vorstellt: Die Partei auf Angriff trimmen und dabei "überkomplexe" Themen verbannen. Was er damit meint: Klar machen, dass die Grünen gegen Studiengebühren seien. Aber nicht öffentlich hochkomplizierte Alternativen der Studienfinanzierung breit treten.

Die Grünen sind in der Opposition. Ihre Aufgabe sei es deshalb nicht, Kabinettsvorlagen zu erstellen. "Den Kompromiss nimmt man nicht vorweg in der Opposition", sagt Özdemir. Ein kleiner Seitenhieb gegen die detailverliebte Bundestagsfraktion. Auch damit dürfte er die Parteilinken für sich gewonnen haben. Die haben sieben Jahre Selbstdisziplinierung in der Regierung hinter sich. Jetzt sehnen sie sich nach einem Wahlkampf mit klaren Positionen.

Kein Wort zur türkischen Herkunft

Darum wohl sind jetzt auch die Sozialdemokraten wieder angreifbar. SPD-Mann Sigmar Gabriel hat es Özdemir besonders angetan. In ihm sieht er einen Förderer von Spritfressern, einen Unterstützer neuer Kohlekraftwerke: "Dass der immer noch als Umweltminister durchgehen kann - ich verstehe es nicht, liebe Freunde." Die lieben Freunde verstehen es wohl auch nicht, so wie sie klatschen. Özdemir weiter: "Bei uns müssen kompetente Leute Umweltminister werden. Bei uns sitzen die kompetenten Leute."

Bislang war in der Parteispitze Claudia Roth dafür zuständig, für Stimmung zu sorgen. Jetzt hat sie einen neuen Ko-Vorsitzenden, der das ebenso gut kann.

Zu seiner türkischstämmigen Herkunft verliert Özdemir in seiner Rede kein Wort. Dabei war das im Vorfeld des Parteitages ein großes Thema. Özdemir, der erste deutsche Parteivorsitzende mit Migrationshintergrund.

Er sagt nur so viel: Er wolle alle mitnehmen, "ob sie aus Kasachstan oder aus Anatolien sind oder ob sie schon gegen die Römer im Teutoburger Wald gekämpft haben".

Nach der Wahl nimmt Özdemir Platz auf seinem Stuhl neben Claudia Roth auf dem Podium. Er telefoniert, liest, gratuliert den nach und nach gewählten Mitgliedern des Parteirates. Es ist, als wäre Özdemir nie etwas anderes als Parteivorsitzender der Grünen gewesen.

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