Österreich:"Yes, we Pam!"

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Ein Freudensprung, der für den Machtwillen der Partei und ihrer Chefin stehen könnte: Sozialdemokratin Pamela Rendi-Wagner. (Foto: Barbara Gindl/dpa)

Warm und weihevoll und dabei entschlossen: Mit der neuen Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner streben Österreichs Sozialdemokraten an die Macht - doch der Weg zurück in die Regierung ist noch weit und dauert wohl noch mindestens vier Jahre.

Von Peter Münch, Wels

Was für ein Sprung: Die Arme hochgestreckt, die Fäuste geballt, federnd hat sie abgehoben, kerzengerade steht sie in der Luft, und die Frisur hält. Die Punktrichter haben ihr dafür 97,8 Prozent gegeben; mit einem überzeugenden Ergebnis ist Pamela Rendi-Wagner auf dem Parteitag der österreichischen Sozialdemokraten in Wels zur neuen Vorsitzenden gewählt worden. Die Kür wäre geschafft. Nun kommt die Pflicht.

Der Jubelsprung, den die neue SPÖ-Chefin gleich mehrmals gezeigt hat an diesem Wochenende, könnte glatt zu ihrem Markenzeichen werden - wenn denn alles gut geht. Denn gleich beim ersten großen Auftritt hat die 47-Jährige Geschichte geschrieben: In den 130 Jahren der Historie der österreichischen Sozialdemokraten steht sie als erste Frau an deren Spitze. Geschafft hat sie das in Rekordzeit, erst vor 20 Monaten ist die Medizinerin in die SPÖ eingetreten und hat die Politik zum Beruf gemacht. Und dieser steile Aufstieg soll erst der Anfang gewesen sein. "Ich bin bereit", sagt Pamela Rendi-Wagner. "Ich will mit eurer Unterstützung die erste Bundeskanzlerin dieser Republik werden." Da erheben sich die 650 Delegierten des Parteitags doch gern zu Ovationen.

Aber zurück nach vorn zu kommen, wie es die Sozialdemokraten nun anstreben, wird nicht leicht. Bis zur nächsten Parlamentswahl dauert es voraussichtlich noch vier Jahre, und die seit knapp einem Jahr regierende Volkspartei von Kanzler Sebastian Kurz führt in allen Umfragen mit deutlichem Vorsprung vor der SPÖ, die mit der rechtslastigen FPÖ beharrlich um den zweiten Platz ringt.

Überdies müssen die neue Vorsitzende und die alte Partei nachhaltiger zusammenfinden. In den Wochen vor dem Parteitag hatte die SPÖ ein kümmerliches Bild abgegeben. Erst hatte Rendi-Wagners Vorgänger Christian Kern mit einem überfallartigen Rücktritt für Chaos gesorgt, dann wollte keiner der Altvorderen seinen Platz einnehmen, und als Rendi-Wagner schließlich auf den Schild gehoben war, machten ihr ein paar männliche Schwergewichte in den Ländern gleich mal das Leben schwer.

In der Messehalle von Wels aber ist davon keine Rede mehr. "Neue Kraft. Neuer Mut" lautet das in Großbuchstaben auf die Bühnenwand projizierte Motto des Parteitags, und woher Kraft und Mut nun kommen sollen, zeigt sich auch sehr schnell. Alle Hoffnungen in der von Flügelkämpfen und Intrigen zerrissenen Partei richten sich auf Pamela Rendi-Wagner. "Yes we Pam" ist der fast polyglotte Lieblingsspruch auf der Bühne und auf rot leuchtenden Buttons am Revers.

Medizinerin, Mutter, Feministin: "Ich möchte euch gleich zu Beginn ganz, ganz fest umarmen."

Die Arbeiterpartei, der die Arbeiter weggelaufen sind in Richtung FPÖ, vertraut ihren Genesungsprozess nun also einer habilitierten Tropenmedizinerin an, Mutter von zwei Kindern und Feministin, was sie in ihrer Parteitagsrede so deutlich hervorhebt, dass ganz besonders die Männer in der ersten Reihe klatschen müssen. So elegant und eloquent tritt sie auf, dass manche in der Partei allerdings darin gleich Abgehobenheit wittern, zumal sie auch noch internationale Erfahrung mitbringt, weil sie zum Beispiel in Tel Aviv an der Uni lehrte, als ihr Mann dort als Österreichs Botschafter stationiert war.

Für ihren Auftritt beim Parteitag bedeutet all dies, dass sie zuvörderst Bodenhaftung demonstrieren muss, und das am besten gleich beim Einzug in die Halle: Da bahnt sie sich den Weg zur Bühne, umringt von lauter Kindern, als Leiterin der roten Krabbelgruppe. "Es fühlt sich saugut an, von euch umarmt zu werden", sagt sie atemlos vorn angekommen zu allen in den Reihen. "Ich möchte euch auch gleich zu Beginn ganz, ganz fest umarmen, jeden Einzelnen von euch."

Warm und weihevoll ist damit der Ton gesetzt für eine Politik, die familienfreundlich sein soll, menschlich, solidarisch, sozial gerecht - und damit natürlich der Gegenentwurf zur Regierung von ÖVP und FPÖ. Wer im Zentrum dieser Politik stehen soll, erklärt Rendi-Wagner am Beispiel ihrer eigenen Biografie. Von der "kleinen Wohnung" im Gemeindebau, in der sie aufgewachsen ist, erzählt sie. Und von ihrer alleinerziehenden Mutter, "die den ganzen Tag gearbeitet hat", weshalb sie immer als letztes Kind aus dem Kindergarten abgeholt worden sei. "Vor unseren Augen sind so viele, die sich im Stich gelassen fühlen", sagt Rendi-Wagner. "Gut zuhören" gibt sie deshalb als Aufgabe aus. "Wir müssen mit dem Herzen schauen."

Bevor die Stimmung dahin kippt, dass alle in der Halle einen Stuhlkreis bilden wollen, zeigt die neue Parteichefin allerdings, dass sie auch anders kann. Ungefähr zur Hälfte der 60-minütigen Rede kommt sie auf die Regierung zu sprechen, und die wird mit Verve abgewatscht als "feige", "armselig" und "arrogant". Direkt an Kanzler Kurz gerichtet fragt sie mit Blick auf seine im Vergleich doch schon lange Politikerkarriere: "Lieber Sebastian, was hast du in all diesen Jahren eigentlich gemacht?" Die Antwort gibt sie gern selbst: "Nichts hast du getan."

Da ist der Jubel dann am größten, und auch ihr Vorgänger Christian Kern, der sie vor 20 Monaten in die Politik geholt hat, adelt sie hinterher zur "wandelnden Kampfansage". 15 Minuten Redezeit waren Kern von der Parteitagsregie eingeräumt worden, 50 hat er sich und den anderen dann gegönnt. Als Politik-Aussteiger kündigt er an, dass sich die Herren Kurz und Heinz-Christian Strache schon einmal "warm anziehen" könnten angesichts der Herausforderin. Die kommenden TV-Debatten zwischen diesen dreien will er mit Bier und Popcorn genießen.

So wird am Ende selbst die Übergabe äußerst versöhnlich gestaltet, nachdem in den vergangenen Tagen darüber spekuliert worden war, ob Kern überhaupt zum Parteitag erscheine. Auch Rendi-Wagner konnte sich da, womöglich aus ärztlicher Sicht, den Hinweis nicht verkneifen, dass er ja vielleicht noch "einen Schnupfen" bekomme. Nun aber ist er da und facht den Jubel gleich mit an um seine Nachfolgerin. "Ich werde für euch rennen", verspricht sie am Ende, "und ich bitte euch, rennt mit mir."

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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