Österreich:Wien-Win-Situation

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Kanzler Sebastian Kurz legt sich mit der Führung der Hauptstadt an - die zieht daraus Nutzen. Das Ganze ist auch ein sehr verfrühter Auftakt zum Wahlkampf 2020.

Von Peter Münch, Wien

Es gibt zahllose Kaffeehäuser in Wien, und damit auch zahllose Bedienungen. Eines der berühmtesten Kaffeehäuser ist das Hawelka. Es wurde 1939 von Josefine und Leopold Hawelka eröffnet - und wird heute noch von der Familie geführt. (Foto: Christian Bruna/dpa)

In Mannschaftsstärke sind sie angetreten im reich geschmückten Wappensaal des Wiener Rathauses, um das zu sagen, was für das Stadtoberhaupt und seine sozialdemokratischen Mitstreiter doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist: "Wien ist die lebenswerteste Stadt der Welt", erklärt Bürgermeister Michael Ludwig, "wir können stolz auf Wien sein." Doch gerichtet ist diese Botschaft an die österreichische Bundesregierung, die an dieser Selbsteinschätzung offenkundig ihre Zweifel hat. Denn Kanzler Sebastian Kurz war den Wienern so heftig an den Karren gefahren, dass Ludwig nun mit Tremolo verkündet: "Das haben die Menschen in dieser Stadt nicht verdient."

Der Kampf zwischen der Hauptstadt und der Bundesregierung tobt auf allen Kanälen, seitdem Kurz sich auf der Regierungsklausur in Mauerbach mit Blick auf Wien gesagt hatte: "Ich glaube nicht, dass es eine gute Entwicklung ist, wenn immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um zu arbeiten, und in immer mehr Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen, um zur Schule zu gehen." Das war eine Retourkutsche dafür, dass die Wiener Führung zuvor ihren Widerstand gegen die von der Regierung geplanten Kürzungen bei der Mindestsicherung angekündigt hatte. FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache goss dann noch Öl ins Feuer mit der Aussage, die Sozialhilfe sei in Wien ein "Förderprogramm für tschetschenische Großfamilien".

Die SPÖ versucht, den Streit mit Kurz zur Mobilisierung zu nutzen

Dieses Thema hat schlichtweg alles, was es zu einem zünftigen Konflikt in Österreich braucht: Schwarz-Blau und Rot-Grün stehen sich da gegenüber, die Hauptstadt und der Rest des Landes, es geht um Stolz und Vorurteile. So nahm die SPÖ die Kritik von Kurz als Steilvorlage und warf dem Kanzler "letztklassige Angriffe" und eine "herzlose" Politik vor. Obendrein initiierten die Sozialdemokraten unter #WienStehtAuf einen Twittersturm, bei dem hart arbeitende Frühaufsteher aus der Hauptstadt zu Wort kommen und auch reichlich Spaßvögel, die beispielsweise vermelden: "Die Rolex zeigt 8:10. Erst mal nen Kaffee und ne Semmel mit Blattgold und dann aus dem Fenster schauen, wie Zehntausende Kinder zur Arbeit gehen und für mich Geld verdienen."

Der SPÖ also soll das Thema zur Mobilisierung dienen, weshalb Ludwig auch am Montag alle SPÖ-Stadträte zur "Leistungsschau" in den Wappensaal beorderte. Reihum erklärten sie dann, welche Segnungen sie der Stadt beim Wohnungsbau und bei der Bildung, in der Kultur und im Nahverkehr angedeihen lassen. Außer Acht blieb dabei allerdings, dass sich bereits vor Kurz ein paar Genossen ähnlich kritisch über manche Zustände in der Hauptstadt geäußert hatten, zum Beispiel der Wiener Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky, der im Krone-Interview auf Schüler verwiesen hatte, die "daheim keine Unterstützung bekommen, vielleicht sogar die Einzigen sind, die in der Früh aufstehen".

Tatsächlich leben in Wien mehr als die Hälfte aller Bezieher von Mindestsicherung in Österreich, und die Arbeitslosenquote ist mit 12,3 Prozent deutlich über dem Landesdurchschnitt von 7,7 Prozent. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass man die Verhältnisse in der Metropole schlecht mit denen in ländlichen Regionen vergleichen kann. Doch für Differenzierung ist in diesem Streit kein Platz. Schließlich geht es hier um einen sehr verfrühten Auftakt zum Wahlkampf - 2020 wird gewählt. Die Kritik des Kanzlers kontert Bürgermeister Ludwig nun mit einem griffigen Slogan: In seiner Stadt, so sagt er, gebe es in Wirklichkeit eine "Wien-Win-Situation".

© SZ vom 22.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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