Österreich:Vom Aufsteiger zum Aussteiger

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Der frühere Bundeskanzler Christian Kern zieht einen Schlussstrich in der Politik.

Von Peter Münch, Wien

Ex-Kanzler, Ex-SPÖ-Chef, Ex-Kandidat, Ex-Politiker: Christian Kern. (Foto: Barbara Gindl/dpa)

Der frühere österreichische Bundeskanzler Christian Kern zieht sich mit einem letzten Paukenschlag komplett aus der Politik zurück. Vor knapp drei Wochen noch hatte er seinen überraschenden Rückzug als Parteichef der SPÖ mit einem neuen Aufbruch verknüpft und angekündigt, er werde als Spitzenkandidat der österreichischen und möglichst auch der europäischen Sozialdemokraten bei der Europawahl im Mai 2019 antreten. Nun aber verkündete er, abermals überraschend, dass er einen "Schlussstrich als Berufspolitiker" ziehe. Seine Zukunft liege in der Privatwirtschaft, da "komme ich her", erklärte der 52-Jährige. In seiner Partei herrschen nun eher Erleichterung und die Hoffnung auf ein Ende der internen Turbulenzen vor.

Die kurze politische Karriere Kerns war geprägt von einem steilen Auf- und einem zähen Abstieg. Als er im Frühjahr 2016 vom Vorsitz der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) ins Amt des Bundeskanzlers wechselte, wurde er als Erneuerer gefeiert. Im Überschwang kündigte er damals an, zehn Jahre in der Politik bleiben zu wollen. Doch schon bei der Parlamentswahl im Oktober 2017 verlor er die Macht an Sebastian Kurz von der Volkspartei. In die Rolle des Oppositionsführers mochte er sich nicht einfinden.

Vorhalten lassen muss sich Kern nun, dass er noch Mitte September versprochen hatte, "mit ganzer Energie und größter Leidenschaft" in die Wahl zum EU-Parlament zu ziehen, weil er Europa nicht den Rechtspopulisten überlassen wolle. Auch beim endgültigen Rückzug betonte er am Samstag noch einmal, dass es bei dieser Wahl, der "Schlacht der Schlachten", um die Zukunft unseres Kontinents gehe. Er selbst aber will nun nicht mehr dabei sein - und über die Beweggründe wird in verschiedene Richtungen spekuliert.

Kern hatte zuletzt in reger Reisetätigkeit seine Chancen auf die Spitzenkandidatur der europäischen Sozialdemokraten auszuloten versucht. Er könnte auf mangelnde Unterstützung gestoßen sein - oder aber erkannt haben, dass nach der Wahl ein EU-Spitzenamt zu fern liegen könnte. Möglich ist aber auch, dass ihn das Rumoren in der eigenen Partei über seinen chaotischen Abgang als Parteichef zum zweiten Rückzug gedrängt hat.

Er selbst klagte in seiner Erklärung am Wochenende über "ständige Kleinintrigen von hüben wie drüben" sowie über "innenpolitisches Kleinklein". Er habe nach seiner Entscheidung für Brüssel die Erfahrung machen müssen, "dass es als ehemaliger Regierungschef nicht möglich ist, die innenpolitische Bühne zu verlassen". Nun scheide er "mit einem gewissen Maß an Erleichterung aus der Politik" aus und freue sich darauf, "den Weg in Wirtschaft und Unternehmertum zurückzugehen". Konkretes dazu äußerte er noch nicht.

Seine designierte Nachfolgerin an der Parteispitze, Pamela Rendi-Wagner, nannte Kerns Rückzug "sehr bedauerlich" und erklärte im fast selben Atemzug, "ich möchte nun nach vorne schauen. Es ist Zeit, uns auf unsere politische Arbeit zu konzentrieren". Als SPÖ-Spitzenkandidat für die Europawahl wurde gleich am Sonntag auf einer Präsidiumsklausurtagung in Wien Andreas Schieder vorgestellt, der Rendi-Wagner als Fraktionschef im Parlament weichen muss. Spott über Kerns Rücktrittsserie kam von der FPÖ. "Sich als Wähler auf die SPÖ zu verlassen, bedeutet, von der SPÖ verlassen zu werden", postete Vizekanzler Heinz-Christian Strache auf Facebook.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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