Österreich:Überraschende Kern-Botschaft

Lesezeit: 2 min

Kündigt den Rückzug von der Parteispitze an: Christian Kern. (Foto: Leonhard Foeger/REUTERS)

Der frühere Kanzler will Europas Sozialdemokraten bei der Wahl anführen.

Von Peter Münch, Wien

Weg aus Wien und schnell nach Brüssel: Das ist das Ziel des österreichischen Oppositionsführers und Ex-Kanzlers Christian Kern. Zur Überraschung selbst der eigenen Parteifreunde hatte er am Dienstagabend angekündigt, dass er nun als Frontmann seiner SPÖ in die Europawahl im Mai 2019 ziehen will. Spätestens zu diesem Zeitpunkt will er auch den Parteivorsitz niederlegen. Und am Mittwoch bestätigte er Spekulationen, dass er noch weitergehende Ambitionen hegt: Er möchte Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten werden. "Wir haben eine Auseinandersetzung zu führen mit Kräften, die Europa zerstören wollen", sagte er am Rande des EU-Gipfels in Salzburg.

Die EU müsse gegen "die Orbáns, Kaczyńskis, Straches und Salvinis" verteidigt werden, sagt Kern

Als geordneten Umstieg kann man Kerns politische Neuorientierung schwerlich bezeichnen. Noch am vorigen Wochenende hatte er in Interviews erklärt, bei der nächsten Parlamentswahl 2022 die SPÖ zurück an die Macht in Österreich führen zu wollen. Alle anderslautenden Gerüchte wies er als "totalen Mumpitz" zurück. Selbst hohe Parteifunktionäre erfuhren von Kerns neuen Plänen erst aus den Medien, wo zunächst von einem kompletten Ausstieg aus der Politik die Rede war. Kern selbst erklärte dann, er wolle sich künftig auf EU-Ebene jenen entgegenstellen, "die die Abrissbirne gegen Europa einsetzen". Die EU dürfe nicht "im nationalistischen Sumpf versinken", sie müsse verteidigt werden gegen die "Orbáns, Kaczyńskis, Straches und Salvinis".

Das klang dann schon wie eine Bewerbung um höhere Weihen, zumal er selber auf ein Treffen der sozialdemokratischen Parteien Europas am Mittwoch im Umfeld des Salzburger EU-Gipfels verwies. Offiziellen Anspruch auf die Spitzenkandidatur der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) hatte bislang nur der slowakische EU-Vizekommissionspräsident Maroš Šefčovič angemeldet. Als weitere Kandidaten gelten die EU-Kommissare Frans Timmermans aus den Niederlanden und Pierre Moscovici aus Frankreich. Kern hätte ihnen die Erfahrung als Regierungschef voraus, selbst wenn er in die österreichische Nachkriegsgeschichte als Kanzler mit der kürzesten Amtszeit eingegangen ist.

Im Mai 2016 war er vom Chefposten der österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) in das Amt des Regierungschefs gewechselt. Nach seinen ersten Auftritten, in denen der Quereinsteiger mit Manager-Erfahrungen Österreich einen dringend nötigen Aufbruch verhieß, war er schnell als Heilsbringer gefeiert worden. Doch schon bei der nächsten Parlamentswahl im Oktober 2017 musste er sich seinem jungen Gegenkandidaten Sebastian Kurz von der Volkspartei geschlagen geben. Kerns Wahlkampf war von Pleiten, Pech und Pannen begleitet gewesen. Auch in der Rolle des Oppositionsführers im österreichischen Parlament wollte sich der Ex-Kanzler nicht recht einfinden.

Auf den Weg gebracht hat er noch ein neues Parteiprogramm, das eigentlich beim SPÖ-Parteitag in gut zwei Wochen verabschiedet werden sollte. Nach den Turbulenzen um Kern wurde nun aber auch der Parteitag kurzerhand abgesagt. Er soll voraussichtlich Ende November nachgeholt werden und dann auch eine Entscheidung über die künftige Führung erbringen. Beliebt scheint das Amt unter Österreichs Sozialdemokraten nicht zu sein. Bereits am Mittwoch zeigten die meisten der gehandelten Kandidaten Fluchtreflexe. Abgewunken haben bereits Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser und der burgenländische SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil, der sich zuletzt als Gegenspieler Kerns auf dem rechten Parteiflügel zu profilieren versucht hatte. Auch die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures sagte am Mittwoch, dass sie für den Posten "nicht zur Verfügung stehe".

Von Irritation über Hoffnung bis zur Häme reichen die Reaktionen der anderen österreichischen Parteien auf die SPÖ-Wirren. Von der Liste Pilz war zu hören, dass man nun künftig mit der SPÖ eine schlagkräftigere Opposition bilden wolle. Aus dem Regierungslager nannte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die EU-Kandidatur Kerns eine "bizarre Überraschung". Der Kurzzeit-Kanzler sei nun auch noch der "kürzestdienende SPÖ-Chef" gewesen.

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: