Österreich:Stolz auf 41 Buchstaben

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Wien wurde 1000 Jahre früher zur Stadt als bislang angenommen.

Von Peter Münch

Es ist ein kleines Fundstück, das eine große Geschichte erzählt: 13 Zentimeter hoch ist dieses Fragment einer Bronzetafel, fünf Zentimeter breit, vier Millimeter dick - und als es der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig am Dienstag höchst feierlich in einer Glasvitrine enthüllt, da ist viel von "Stolz" die Rede, von einer "historischen Sensation" und davon, dass "unsere Stadtgeschichte neu geschrieben wird". Österreichs Hauptstadt, verkündet der Bürgermeister mit Blick auf das Beweisstück aus der Römerzeit, habe das Stadtrecht schon 1000 Jahre früher bekommen als bislang bekannt. "Damit wären wir auch wieder verdientermaßen die älteste Stadt Österreichs", frohlockt er.

Das allerdings ist etwas verfrüht. Bislang steht in den Annalen, dass Wien anno 1221 von Leopold VI. aus dem Geschlecht der Babenberger, Beiname: der Glorreiche, zur Stadt erhoben wurde. Vermutet worden war zwar schon länger, dass bereits das auf dem Gelände des heutigen Wiens als Legionslager gegründete römische Vindobona ein Stadtrecht besessen hatte, doch dafür fehlte der Nachweis. Den hat nun in seiner Dissertation über römische Stadtrechte ein junger Lehrer für Latein und Geschichte namens Niklas Rafetseder geliefert anhand der Inschrift auf dem Bronzefragment.

"Das war wirklich ein Glücksgriff", sagt Rafetseder. Denn das kleine Teil war bereits 1913 bei Grabungen in der Wiener Innenstadt zum Neubau eines Bankgebäudes gefunden worden und lagerte danach zusammen mit rund einer Million anderen Objekten im Depot des Wien Museums. Immerhin waren die insgesamt 41 Buchstaben, die man darauf lesen konnte, digital erfasst worden. Bei einer Datenbanksuche stellte Rafetseder dann fest, dass die auf dem Wiener Fragment zu lesenden Lettern und Worte in gleicher Anordnung auch auf einer gut erhaltenen Bronzetafel mit dem römischen Stadtrecht für die Stadt Irni zu finden sind, die 1986 in Andalusien gefunden wurde. Da die römischen Stadtgesetze immer nach gleicher Vorlage auf Bronzetafeln ausgestellt wurden, konnte er daraus folgern, dass auch Vindobona von den Römern das Stadtrecht verliehen bekommen hatte.

Rafetseder datiert das bronzene Fundstück auf "das Ende des zweiten oder den Anfang des dritten Jahrhunderts nach Christus" - und das ist für den Wiener Bürgermeister dann doch noch eine betrübliche Nachricht an diesem Tag. Denn das römische Iuvavum zum Beispiel, das heutige Salzburg, sei dann doch noch um einiges älter, erklärt Rafetseder. Die Bedeutung seines Fundes für das Wiener Selbstverständnis soll das jedoch nicht schmälern. "Das Standing der Stadt wird verbessert", meint er. "Schon die Römer haben Wien als wichtig empfunden, das wird also kein Nest gewesen sein."

Um das für die Nachwelt zu dokumentieren, wird das kleine Fragment jener Bronzetafel, auf der einst das Wiener Stadtrecht geschrieben stand, nach mehr als hundert Jahren Einsamkeit im Depot von nun an in einer eigenen Vitrine im Wiener Römermuseum ausgestellt. Und auch Bürgermeister Ludwig gibt sich am Ende zufrieden und singt ein Loblied auf die "Orchideenfächer", die es sich zu unterstützen lohne. Schließlich kann deren Studium zu solch historischen Erkenntnissen führen.

© SZ vom 04.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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