Österreich:"Sprungbrett in die Armut"

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In Österreich wird die Reform der Sozialhilfe kritisiert. Die Stadt Wien droht mit Boykott.

Von Peter Münch, Wien

Mit der Mehrheit der Stimmen aus dem Regierungslager hat Österreichs Parlament am Donnerstag eine umstrittene Reform der sogenannten Mindestsicherung beschlossen, die in Zukunft wieder Sozialhilfe heißen wird. Einbußen bringen die neuen Regelungen vor allem für Ausländer mit schlechten Deutschkenntnissen und für kinderreiche Familien. Die Koalition aus ÖVP und FPÖ sieht in der Reform ein Mittel gegen die vielfach als bedrohlich dargestellte "Zuwanderung in die Sozialsysteme" und spricht von mehr Fairness und Gerechtigkeit. Kritiker monieren, dass die Neuregelung unter dem Strich keine Einsparung erbringe, aber bestimmte Gruppen gezielt benachteilige.

Konkret sieht das neue Rahmengesetz des Bundes einen Sozialhilfe-Höchstsatz von 885,47 Euro für Alleinstehende und 1239,66 Euro für Paare vor. Wer keine ausreichenden Sprachkenntnisse in Deutsch oder Englisch nachweisen kann, bekommt 300 Euro weniger. Die Kinderzuschläge werden stark abfallend gestaffelt. Für das erste Kind gibt es 216 Euro, für das zweite 130 Euro und ab dem dritten nur noch 43 Euro. Alleinerziehenden kann von den Bundesländern jedoch noch ein Bonus gewährt werden.

Von einer "schmutzigen und schäbigen Politik" sprach in der Nationalratsdebatte der Sozialsprecher der liberalen Neos, Gerald Loacker. "Diese Regierung würde so-gar den Wetterbericht auf Ausländer framen, wenn das ginge." Oppositionsführerin Pamela Rendi-Wagner von der SPÖ nannte das neue Gesetz "ein Sprungbrett in die Armut" statt in den Arbeitsmarkt. Vor allem kritisierte sie, dass damit "70 000 Kinder in ein chancenloses Leben verfrachtet" würden. Zudem würde die Regierung in unanständiger Weise die Bundesländer gegeneinander ausspielen. Das bezieht sich darauf, dass die einzelnen Länder nun bis zum Jahresende Ausführungsgesetze beschließen müssen, in denen sie die Vorgaben des Bundes in einem gewissen Spielraum mit eigenen Regelungen ausschmücken können. Neben einem Plus für Alleinerziehende können sie dabei auch Wohnzuschläge gewähren.

Heftige Kritik gibt es auch von verschiedenen sozialen Organisationen. Caritas-Präsident Michael Landau, der sich in jüngerer Zeit mehrmals Angriffen vonseiten der FPÖ ausgesetzt sah, hatte die Abgeordneten vorab in einem Offenen Brief aufgefordert, der neuen Regelung nicht zuzustimmen. Die Chefin des SOS-Kinderdorfs Österreich, Irene Szimak, sprach von einer "Schande für Österreich".

Die Konflikte dürften indes auch mit der Verabschiedung des Gesetzes nicht beendet sein. Die rot-grün regierte Bundeshauptstadt Wien hat bereits gedroht, die Vorgaben des Bundes nicht umzusetzen und den Verfassungsgerichtshof einzuschalten.

© SZ vom 26.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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