Österreich:Schallende Ohrfeige für Österreichs Justiz

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Aba Lewit hat die KZs Plaszow und Mauthausen überlebt und wehrt sich nun dagegen, deswegen in einer österrischen Zeitschrift folgenlos beleidigt zu werden. (Foto: Ronald Zak/AP)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gibt einem Holocaust-Überlebenden recht, der sich gegen Schmähungen zur Wehr setzte - und damit vor zwei Gerichten gescheitert war.

Von Peter Münch, Wien

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Rechte von Holocaust-Überlebenden gestärkt und damit der österreichischen Justiz eine schallende Ohrfeige verpasst. Das Straßburger Gericht gab am Mittwoch dem in Wien lebenden 96 Jahre alten Holocaust-Überlebenden Aba Lewit recht, der sich von den österreichischen Gerichten in seinen Persönlichkeitsrechten nicht genügend geschützt sah. Lewit hatte sich an den Gerichtshof gewandt, nachdem er zuvor in Österreich erfolglos gegen die rechtsgerichtete Zeitschrift Aula geklagt hatte, in der befreite Insassen des Konzentrationslagers Mauthausen als "Massenmörder", "Kriminelle" und "Landplage" beschimpft worden waren.

Die Klage in Straßburg hat eine lange und für Österreich unrühmliche Vorgeschichte. 2015 war der Aula-Artikel erschienen unter dem Titel: "Mauthausen-Befreite als Massenmörder". Unter anderem heißt es in dem Beitrag: "Die Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil der befreiten Häftlinge aus Mauthausen den Menschen zur Landplage gereichte, gilt für die Justiz als erwiesen und wird heute nur noch von KZ-Fetischisten bestritten."

Daraufhin wurde gegen den Autor ein Verfahren wegen "nationalsozialistischer Wiederbetätigung" eingeleitet. Dies wurde jedoch eingestellt, weil er in seinem Beitrag nicht die Nazis gelobt habe. In ihrer Begründung schrieb die zuständige Staatsanwältin zudem, es sei "nachvollziehbar, dass die Freilassung mehrerer Tausend Menschen aus dem Konzentrationslager Mauthausen eine Belästigung für die betroffenen Gebiete Österreichs darstellte".

Der Aula-Autor berichtete dann in der Februar-Ausgabe der Zeitschrift 2016 von der Einstellung des Verfahrens und wiederholte seine Schmähtiraden. Daraufhin verlangte Aba Lewit, der zunächst im Konzentrationslager Plaszow bei Krakau inhaftiert gewesen und 1943 nach Mauthausen deportiert worden war, zusammen mit neun weiteren Holocaust-Überlebenden vor Gericht eine Entschädigung von der Zeitschrift. Das Grazer Landesgericht für Strafsachen lehnte dies mit der Begründung ab, dass 1945 etwa 20 000 Menschen in Mauthausen befreit worden seien. Dies seien so viele Personen, dass keine einzelne durch die Aussagen identifizierbar sei. Zudem seien in dem Aula-Artikel von 2016 keine zusätzlichen beleidigenden Aussagen gegenüber 2015 zu finden. Diese Sicht wurde in der Berufung bestätigt.

Die Straßburger Richter haben dies nun einstimmig zerpflückt. Der Gerichtshof bestätigt Aba Lewit eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte mit Verweis auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Richter werfen den österreichischen Gerichten vor, sich "niemals mit den zentralen Fragen dieser Klage befasst" zu haben, nämlich welche Auswirkungen eine solche Diffamierung haben könne. Weil es nur noch wenige Holocaust-Überlebende gebe, könnten diese sich sehr wohl direkt angesprochen fühlen. Recht bekam Lewit auch in dem Punkt, dass sich der Artikel von 2016 "im Kontext und Ziel" vom Beitrag aus dem Jahr 2015 klar unterscheide und Lewits Klage berechtigt sei.

Österreich muss Aba Lewit, der nach langem Schweigen erst im hohen Alter als Zeitzeuge an die Öffentlichkeit ging, nun Schadenersatz bezahlen. Zugesprochen wurden ihm 5648,48 Euro sowie zusätzlich 6832,85 Euro als Erstattung von Auslagen und sonstigen Kosten. Österreichs Justizminister Clemens Jabloner begrüßte das Urteil. Dies sei ein "wichtiges Signal für die Justiz, sich der Verantwortung für die Gräueltaten des NS-Regimes bewusst zu werden".

© SZ vom 11.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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