Österreich:Mulmig in die Zukunft

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Die Grünen entscheiden sich mit überwältigender Mehrheit für die Regierung mit der ÖVP - und fremdeln noch etwas mit der neuen Rolle.

Von Peter Münch, Salzburg

"Es wird irgendwie eine neue Welt werden“, sagt Werner Kogler, Vorsitzender der Grünen und künftig Österreichs Vizekanzler. Der Parteitag in Salzburg stimmte mit 93,18 Prozent dafür, in eine Regierungskoalition mit der ÖVP einzutreten. (Foto: Barbara Gindl/dpa)

Der erste öffentliche Glückwunsch kommt vom neuen Partner: Bei ihrem Bundeskongress in Salzburg liegen sich die Grünen immer noch in den Armen, sie herzen und sie küssen sich, da schickt Sebastian Kurz von der ÖVP am Samstag um Punkt 17.16 Uhr schon eine Botschaft via Twitter: Er gratuliert Werner Kogler und der Parteiführung zu einem "klaren Erfolg" und er fügt an: "Ich freue mich auf die gemeinsame Zusammenarbeit in der Bundesregierung." Im Film setzen da die Geigen ein.

Es ist ja tatsächlich eine Art Happy End nach drei aufreibenden Monaten der Verhandlungen. Auch Kurz wird im fernen Wien mit Spannung auf dieses Ergebnis gewartet haben, mit dem die Grünen die letzte Hürde auf dem Weg zur Koalitionsregierung mit seiner konservativen Volkspartei aus dem Weg geräumt haben. Wie wuchtig und entschlossen sie dies getan haben, hat dann selbst Parteichef Kogler überrascht, der im Salzburger Congress-Haus fast ungläubig auf die Zahlen schaut, die oben auf der Bühne eingeblendet werden: 246 Ja-Stimmen, 15 Nein, 3 Enthaltungen, unter dem Strich macht das eine Zustimmungsrate von 93,18 Prozent aus. Die grüne Ministerliste erhält gar das Placet von 99,25 Prozent der Delegierten. "Nordkoreanisch" hatte Kogler selbst solche Ergebnisse vorab noch genannt, nun nimmt er sie liebend gern. Für die Grünen, deren Parteivolk bisweilen störrisch sein kann, darf dies als Reifeprüfung gelten. "Historisch" ist das Wort, das man danach am meisten hört.

Historisch ist diese Entscheidung für die Umweltpartei und auch fürs ganze Land, denn zum ersten Mal treten Österreichs Grüne in eine Bundesregierung ein - und niemand kann sagen, dass sie es sich und allen anderen leicht gemacht hätten. "Mutig in die Zukunft", lautet das Motto ihrer Salzburger Zusammenkunft, doch vor der Abstimmung ist noch einmal das zähe Ringen zu beobachten, das die Grünen mit sich selbst auszutragen haben vor dieser wohl weitreichendsten Entscheidung der Parteigeschichte.

30 Minuten hat die Parteitagsregie Kogler zugeteilt, um auf Stimmenfang zu gehen. Doch in seiner leidenschaftlichen, aber nicht unbedingt stringenten Rede steckt er nach Ablauf dieser Zeit noch irgendwo im Welterklärungsversuch fest zwischen Max Weber und Francis Fukuyama. Erst später zählt er in Stichworten auf, was alles herausgeholt worden ist in den Verhandlungen mit der ÖVP. "Das Klimaschutzkapitel kann sich sehen lassen", sagt er. "Wir bringen Ökologie und Ökonomie unter einen Hut." Die Armutsbekämpfung werde energisch angegangen, Korruption bekämpft und Transparenz geschaffen. Selbst im Kapitel zur Migration, das eindeutig die harte Handschrift der ÖVP trägt, und das bei der grünen Basis auf heftige Kritik gestoßen ist, pickt Kogler noch Positives heraus: Die Hilfe vor Ort, also weit weg in den Ländern der Dritten Welt, werde um ein Vielfaches erhöht. "Wir haben das Gewissen an dieser Stelle nicht an der Garderobe abgegeben", verspricht er den Kritikern.

Das neue Kabinett wird an diesem Dienstag in der Hofburg vereidigt

Eines der Hauptargumente aber bleibt, dass eine weitere Regierungsbeteiligung der FPÖ verhindert werde. "Es macht einen Unterschied, ob Türkis mit Blau regiert oder mit Grün", ruft er. Es gehe um "Verantwortung" für Österreich und obendrein noch darum, mit einer Koalition aus Konservativen und Grünen "federführend auch für andere europäische Länder voranzugehen". Dies wird man auch in Deutschland aufmerksam zur Kenntnis nehmen. "Das ist klassische Pionierarbeit, die wir hier leisten", erklärt Kogler.

Da brandet Beifall auf, doch vor der Abstimmung steht noch die Aussprache. Hier prallt nun das aufeinander, was der Parteichef zuvor mit Max Webers Worten beschrieben hatte: Gesinnungsethik gegen Verantwortungsethik. Gefühlt zumindest melden sich unter den insgesamt etwa 40 Rednern all jene zu Wort, die später mit Nein stimmen. Doch die Tendenz wird da schon klar: "Wir schaffen das", sagt eine Delegierte.

In Wien werden nun die Weichen fürs Regieren neu gestellt. An diesem Dienstag wird das gesamte Kabinett in der Hofburg vorstellig zur Vereidigung durch den Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Brigitte Bierlein, die umsichtige Bundeskanzlerin der sieben Monate lang amtierenden Expertenregierung, hat sich am Montag bereits per Video von den Österreichern verabschiedet und den neuen Koalitionären dabei einen Auftrag erteilt: "In unserer Unterschiedlichkeit liegt auch unsere Stärke", sagt sie, "dazu gehören Respekt füreinander und das Streben nach dem Miteinander. Sebastian Kurz hat da längst schon wieder auf Kanzler umgeschaltet, gibt Interviews im Akkord und bietet sich obendrein als Weltenretter an mit dem Vorschlag eines amerikanisch-iranischen Gipfeltreffens in Wien.

Werner Kogler, der künftige Vizekanzler, zeigt sich noch deutlich zurückhaltender. Erst einmal müsse er sich an den neuen Titel gewöhnen, lässt er in Salzburg die Parteifreunde wissen. "Das klingt so barock." Doch in aller Vorsicht und rhetorisch etwas holprig gibt er ein Versprechen ab: "Es wird irgendwie eine neue Welt werden", sagt er. "Doch sie wird eine grüne Welt sein sollen."

© SZ vom 07.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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