Österreich:Kanzler mit Hammer und Sichel

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Der österreichische Kanzler Christian Kern bei einer Pressekonferenz. (Foto: John Thys/AFP)

Bizarrer Streit in der Wiener Regierungskoalition: Die konservative ÖVP verfasst ein Pamphlet über ihren Regierungspartner SPÖ.

Von Cathrin Kahlweit

Das rote Wien ist Legende, Klassenkampf war früher. Heute steht der sozialdemokratische Kanzler Christian Kern im eleganten Anzug auf der Hauptstadt-Bühne und redet am Maifeiertag über Hilfe für den Mittelstand. Trotzdem hat der konservative Koalitionspartner ÖVP jetzt ein 58-seitiges Heft mit der Warnung vor einer "linken Wende" herausgegeben. Dessen Titelseite zeigt in Retro-Ästhetik sowjetische Propaganda: den SPÖ-Kanzler mit Hammer und Sichel.

Einerseits sind die Österreicher das gewöhnt. Im Land herrscht Dauer-Wahlkampf und Dauer-Gerede über vorgezogene Neuwahlen, was wohl eine Begleiterscheinung der Langzeit-Koalition von SPÖ und ÖVP ist. Würde man diese Beziehung mit einer Ehe vergleichen, stünde das Paar seit Jahren kurz vor der Scheidung, aber die Partner könnten sich aus Angst, im Versorgungsausgleich den Kürzeren zu ziehen, nicht dazu entschließen.

Andererseits sind selbst in der früheren KP-Hochburg Graz kürzlich die letzten Alt-Linken aus der Stadtregierung gewählt worden. Und bundesweit käme eine Koalition der SPÖ und den sehr braven Grünen selbst mit Unterstützung der liberalen Neos derzeit bestenfalls auf 40 Prozent. Dennoch wirft die ÖVP, die mit ihrem Koalitionspartner gerade ein scharfes Fremden- und Integrationspaket verabschiedet und das gemeinsame Regierungsprogramm aktualisiert hat, den Sozialdemokraten jetzt vor, die wollten "von Zuwandern nichts einfordern" und Werte und Traditionen nicht erhalten.

Im Netz kursieren nun satirische Posts über eine SPÖ-Spitze, die im Kanzleramt die Hymne der UdSSR singt. Der Kanzler selbst reagiert extrem cool: Kern hat auf seiner Facebook-Seite sein Profilbild gegen das Hammer-und Sichel-Porträt ausgetauscht und antwortet mit einer Ansprache, in der er den politischen FreundFeind einlädt, über die wirklich wichtigen Dinge zu diskutieren. Ach ja, und die ersten ÖVP-Landesverbände melden sich mit dem Hinweis, sie würden das KP-Manifest jedenfalls nicht verteilen.

Generalsekretär Werner Amon verteidigt die Broschüre mit den Worten, auch die SPÖ sei im Vorwahlkampf. Dennoch verurteilt der Standard die Aktion als "reine Sudelei, obendrein ziemlich dämlich"; die Rede ist von einer "Schmutzkampagne". Man könnte also vermuten, der Schuss des attackierenden Koalitionspartners sei letztlich nach hinten losgegangen. Andererseits ist die scheinbar lässige Reaktion der SPÖ womöglich auch ihrer stillen Panik geschuldet, dass die nächste Regierung ohne rote Beteiligung und stattdessen blau-schwarz unter Führung der FPÖ sein könnte. Denn der wichtigste Landesverband, die Wiener SPÖ, hat sich in einem ausgewachsenen Machtkampf gerade selbst zerlegt, und die Grünen sacken, wie ihr deutsches Pendant, in die Bedeutungslosigkeit ab. Da nimmt es nicht Wunder, dass Kern, dem zuletzt aufgrund guter persönlicher Werte Neuwahlgelüste nachgesagt worden waren, ganz unbedingt erst zum offiziellen Termin im Herbst 2018 wählen lassen will. Und dass er selbst das koalitionäre "Anpatzen", wie solche politischen Angriffe in Österreich genannt werden, scheinbar gut gelaunt erträgt. Er habe, sagt er, mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass er "ein Kommunist" sei.

© SZ vom 04.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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