Österreich:Erste Frau regiert in Wien

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Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein wurde mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragt.

Von Leila Al-Serori, Wien

Brigitte Bierlein wird die erste Bundeskanzlerin Österreichs. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat die bisherige Präsidentin des österreichischen Verfassungsgerichtshofs am Donnerstagnachmittag mit der Bildung eines Übergangskabinetts beauftragt. Im September soll es vorgezogene Neuwahlen geben.

Van der Bellen verkündete seine Entscheidung bei einer Ansprache im Maria-Theresien-Zimmer in der Wiener Hofburg mit Bierlein an seiner Seite. "Die letzten Tage waren für die Republik herausfordernd. Wir haben bei der Amtsenthebung einer ganzen Bundesregierung Neuland betreten", erklärte Van der Bellen. Die österreichische Bundesverfassung habe durch diese Zeit sicher den Weg geleitet. Wer wäre daher besser als Übergangskanzlerin geeignet als die "oberste Hüterin der Bundesverfassung", sagte der Bundespräsident.

Ihre zwei größten Karrieresprünge machte die 69-jährige Juristin jeweils unter ÖVP-FPÖ-Regierungen: 2003 wurde Bierlein zur ersten Vizepräsidentin ernannt, Anfang 2018 stieg sie zur ersten Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes auf. Bereits 1990 wurde sie die erste weibliche Generalanwältin Österreichs. Die Wienerin ist parteifrei, gilt aber als konservativ. Ihr werden gute Kontakte zu ÖVP und FPÖ nachgesagt. Während der Koalitionsverhandlungen 2017 kursierte ihr Name für den Posten der Justizministerin.

Es sei eine Überraschung für sie gewesen, als Van der Bellen sie gefragt habe, erklärte Bierlein. Nach einigen Stunden Bedenkzeit habe sie sich aber entschieden, die verantwortungsvolle Aufgabe "für das Wohl Österreichs" zu übernehmen. Sie wolle nun das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen und das Land vor allem auf europäischer Ebene stark vertreten.

Nächste Woche soll die Übergangsregierung vereidigt werden

In den nächsten Tagen werde sie Vorschläge für ihr Kabinett machen. Zwei vorgesehene Minister verkündete sie schon am Donnerstag: Der ehemalige Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, Clemens Jabloner, soll Justizminister und Vizekanzler werden. Der frühere Botschafter Alexander Schallenberg, derzeit Leiter der Europa-Sektion im Bundeskanzleramt, wird demnach Außenminister.

Um eine breite Unterstützung im Parlament für die Übergangskanzlerin zu gewährleisten, gab es im Vorfeld Gespräche mit allen Parteichefs, bestätigte Van der Bellen. Der Dialog solle auch in Zukunft verbessert werden. Österreichs Ansehen müsse nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen durch eine stabile Regierung wiederhergestellt werden. Es gehe daher auch vorrangig um eine gute Verwaltung des Landes in den kommenden Monaten, sagte der Bundespräsident. Deshalb habe man sich auf eine reine Beamtenregierung verständigt. Obwohl es den einzelnen Parteien derzeit schwerfalle, sich gegenseitig zu vertrauen, äußerte Van der Bellen die Hoffnung, dass sie die neue Regierung in den nächsten Monaten dennoch so weit wie möglich unterstützen.

Die Besetzung einer Übergangsregierung war notwendig geworden, nachdem der Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ, FPÖ und JETZT Bundeskanzler Sebastian Kurz und seinem ganzen Kabinett am Montag das Misstrauen ausgesprochen hatte. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes wurde ein amtierender Kanzler auf diese Weise abberufen. Derzeit führen Interimskanzler Hartwig Löger (ÖVP) und seine Interimsregierung die Amtsgeschäfte.

Von den Parteien gab es positive Reaktionen auf die Bestellung Brigitte Bierleins. ÖVP-Parteiobmann Sebastian Kurz würdigte sie als "außerordentlich kompetente, erfahrene und integre Persönlichkeit". SPÖ-Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner zeigte sich erfreut, dass eine Frau zum Zuge kam. Auch der neue FPÖ-Chef Norbert Hofer war in einer ersten Stellungnahme voll des Lobes. Eine Vereidigung des Übergangskabinetts wird nicht vor Montag erwartet. Einen genauen Termin für die im September geplanten Neuwahlen gibt es noch nicht.

Der Regierungskrise in Österreich ging das Bekanntwerden des Strache-Videos aus Ibiza voraus. Der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist darauf beim Gespräch über möglicherweise illegale Geschäfte und Parteispenden zu sehen. Der Veröffentlichung durch Süddeutsche Zeitung und Spiegel am 17. Mai folgten Straches Rücktritt als Vizekanzler und das Ende der ÖVP-FPÖ-Koalition.

© SZ vom 31.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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