Österreich:Ende eines Ausnahmezustands

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Sebastian Kurz mit seinem grünen Vize Werner Kogler in der Wiener Hofburg. (Foto: Roland Schlager/AFP)

Bundespräsident Van der Bellen vereidigt in Wien die neue Regierung aus ÖVP und Grünen. Überschattet wird die Amtseinführung allerdings von verbalen Angriffen der FPÖ auf eine neue Ministerin mit Migrationshintergrund.

Von Peter Münch, Wien

Für Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist es fast schon ein Routinetermin: Zur Halbzeit seiner ersten Amtsperiode empfängt er in der Wiener Hofburg bereits die vierte Bundesregierung zur Vereidigung, die in Österreich Angelobung heißt. Auch Sebastian Kurz und ein paar aus der Ministerriege sind keine Neulinge in diesem Geschäft - und dennoch ist vieles anders an diesem Morgen im prachtvollen und überhaupt sehr vollen Maria-Theresien-Zimmer. Schließlich wird exakt hundert Tage nach der Wahl zum ersten Mal in der österreichischen Geschichte eine Regierung aus den Konservativen von der ÖVP und den Grünen ins Amt eingeführt. Zum ersten Mal sitzen mehr Frauen als Männer am Kabinettstisch. Und zum vielleicht letzten Mal muss sich der Bundespräsident im Zusammenhang mit einer Regierungsbildung an der korrekten Aussprache eines Worts, genauer gesagt eines Orts abmühen: "Ibiza", mit spanisch-englisch-österreichischem "th".

Ibiza und der Skandal um Vizekanzler Heinz-Christian Strache waren der Anfang vom Ende der früheren ÖVP-FPÖ-Regierung. "Nach den hinlänglich bekannten Ereignissen seit dem Mai des Vorjahres, seit Ibitha, schließt sich jetzt der Kreis", sagt Van der Bellen. Er hebt die "maßgebliche Rolle" hervor, die Journalisten in unabhängigen Medien gespielt hätten. Er lobt die österreichische Demokratie, die im vergangenen Jahr "die Kraft zur Selbstreinigung und Erneuerung" bewiesen habe. Und er bilanziert in der für ihn typischen Beiläufigkeit: "Trotz aller Unvorhersehbarkeiten und Überraschungen haben wir das alle gemeinsam ganz gut hingekriegt."

Die Angelobung markiert also den Abschluss eines politischen Ausnahezustands, der auch deshalb als solcher empfunden wurde, weil die im Juni eingesetzte Expertenregierung ausnahmsweise ohne den sonst üblichen Streit und Knatsch ihre Amtsgeschäfte verrichtete. Van der Bellen nimmt das als Vorlage, um die im politischen Nahkampf erprobten Nachfolger zur Besonnenheit aufzufordern. Eine ihre Hauptaufgaben sei es, Vertrauen wiederaufzubauen. "Ich will, dass die Farben dieser Regierung rot-weiß-rot sind", erklärt er den Türkis-Grünen. Eigeninteressen müssten fürs Gemeinwohl zurückgestellt werden, die Politik müsse dialogfähig sein.

Nach den Mahnungen des Staatsoberhaupts gehört die Bühne der Ministerriege mit den vielen neuen Gesichtern. Zu den Premieren zählt noch, dass mit Klaudia Tanner von der ÖVP erstmals eine Ministerin für die Landesverteidigung zuständig ist, dass die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler mit dem Fahrrad zur Hofburg gekommen ist und Vizekanzler Werner Kogler ohne Krawatte. Überdies wird mit der Grünen Alma Zadić im Justizressort erstmals eine Ministerin mit Migrationshintergrund berufen. Die heute 35-Jährige war als Kind mit ihren Eltern vor dem Bosnienkrieg geflohen.

Zadićs Ernennung hat die Ex-Regierungspartei FPÖ gleich zu einer wütenden Attacke verleitet. Vordergründig geht es darum, dass die Ministerin im November medienrechtlich in erster Instanz zu einer Entschädigungszahlung verurteilt wurde, weil sie auf Twitter das Bild eines Burschenschaftlers mit erhobenem Arm mit den Worten kommentiert hatte: "Keine Toleranz für Neonazis, Faschisten und Rassisten". Der Gezeigte will aber nur gewunken haben. Mehrere FPÖ-Politiker forderten deshalb, Zadić nicht anzugeloben. In sozialen Netzwerken tobt zugleich eine Hasskampagne gegen sie wegen ihrer Herkunft.

Kurz hat sich hinter seine Ministerin gestellt. Zwar attestiert er ihr einen "Fehler" wegen des Twitter-Kommentars, aber er erklärt: "Ich kenne und schätze sie und halte sie für geeignet." Auch Politiker anderer Parteien solidarisieren sich inzwischen mit ihr. Doch die FPÖ hat gleich mal die Tonlage vorgegeben für die Auseinandersetzungen der nächsten Zeit.

Nach der Angelobung schwärmen die neuen Regierungsmitglieder aus in ihre Ministerien. Den kürzesten Weg hat Sebastian Kurz, der hinüberschlendert ins Kanzleramt am Ballhausplatz. Dort erwartet ihn noch Österreichs erste Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein zur Amtsübergabe. Kurz und knapp geht das vonstatten und Bierlein sagt: "Sie wissen, es ist keine leichte Aufgabe."

© SZ vom 08.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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