Österreich:Die Macht des Partners

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Die Grünen wollen Flüchtlinge aufnehmen, Kanzler Kurz nicht. Da hilft es wenig, dass die Partei Teil der Regierung ist.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Wirft dem großen Koalitionspartner „Erpressung“ vor: Sigi Maurer, Fraktionschefin der Grünen. (Foto: imago images/Eibner Europa)

Offiziell war die Sitzung im österreichischen Parlament der schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt gewidmet gewesen. Aber die schwierige Situation im Flüchtlingslager auf Lesbos, über die im Hintergrund debattiert wurde, war das viel wichtigere Streit- und Profilierungsthema: Würde es über die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria noch Kompromisslinien zwischen der großen Regierungspartei ÖVP und dem kleinen Partner, den Grünen, geben? Und wie wird sich das Thema im Stimmungsbild in Wien niederschlagen, wo in vier Wochen gewählt wird?

Nicht nur die Opposition in Wien, sondern auch die deutsche Kanzlerin ist offenbar höchst unzufrieden mit ihrem Wiener Kollegen: Man könne nicht, soll sie in Berlin laut Bild gesagt haben, einerseits Beitragsrabatte für das EU-Budget fordern, sich aber andererseits in der aktuellen Flüchtlingsdebatte nicht solidarisch zeigen. Am Dienstag wurde in Wien durchaus registriert, dass die Bundesregierung nun sogar 1500 Menschen aus Moria aufnehmen will; man werde dem deutschen Weg aber nicht folgen, so Sebastian Kurz. Die Wiener Debatte scheint mit dem Diktum des Kanzlers beendet zu sein: Bereits vergangene Woche hatte Kurz mitgeteilt, man wolle nur "vor Ort helfen", aber keine Flüchtlinge aufnehmen; er bekräftigte seine Haltung dann noch mehrmals, obwohl nicht nur der grüne Koalitionspartner, SPÖ und Neos sowie die Kirchen, sondern auch immer mehr Politiker aus der eigenen Partei eine Geste - und zumindest die Aufnahme einer geringen Zahl von Menschen aus Moria - forderten.

Die Grünen hatten im vergangenen Winter in der Gewissheit, dass es in der Flüchtlingsfrage grundlegend unterschiedliche Überzeugungen gibt, im Koalitionsvertrag einen Mechanismus festgeschrieben, der abweichendes Stimmverhalten ermöglicht - falls beide Koalitionsparteien dem zustimmen. Und noch im Frühjahr, als die Koalition gerade mal ein paar Wochen alt war, hatte der grüne Vizekanzler Werner Kogler wieder einmal gefordert, Frauen und Kinder aus dem Lager in Griechenland zu holen, während die ÖVP vor allem auf Schutz der Außengrenzen und verstärkten Rückführungen beharrte. Im aktuellen Konflikt retteten sich die Grünen nun letztlich nicht in den koalitionären "Krisenmodus", sondern eher in Verfahrensfragen. Fraktionschefin Sigi Maurer argumentierte im ORF zwar offensiv für eine humanitäre Geste und sprach quasi von Erpressung durch die ÖVP, und am Montag votierte die Fraktion dann gegen einen Antrag der FPÖ, auf keinen Fall Flüchtlinge aus Moria nach Österreich zu bringen. Gegenteilige Anträge von Neos und SPÖ wurden in die Ausschüsse verwiesen.

Kanzler Kurz argumentiert, man könne nicht allen helfen. Wien will nun die Sachleistung erhöhen

Die ÖVP wiederum musste ihre eigenen Probleme lösen: Über ein auch in den eigenen Reihen kritisiertes Interview von Außenminister Alexander Schallenberg im ORF, in dem er vom "Geschrei nach Verteilung" in der EU sprach, die "keine Lösung" sei, hatte es viel Aufregung gegeben; Schallenberg sah sich genötigt, später festzustellen, dass er "nicht hartherzig" sei.

Kurz darauf gab die Regierung dann eine Ausweitung der Sachhilfe in Lesbos bekannt, um den Vorwurf des "unchristlichen Verhaltens", der auch von Konservativen erhoben wurde, zu kontern: 400 Unterkünfte für 2000 Menschen wurden nach Lesbos geflogen, die Katastrophenhilfe soll auf niedrigem Niveau von 25 auf 50 Millionen Euro verdoppelt werden. Kurz begründete die ÖVP-Linie so, wie er sie seit Jahren begründet: mit der Gefahr eines Pull-Effektes und der falschen Signale - sowie dem großen Leid, das schließlich auch anderswo herrsche. Man könne nicht allen helfen und habe, so der Kanzler, zudem im europäischen Vergleich seit 2015 mehr Menschen aufgenommen als die allermeisten EU-Länder.

Überdies, was ein neues Argument in seiner gewohnten Argumentationslinie war, habe Österreich allein in diesem Jahr bereits 3700 Kindern Schutz geboten. Wenn jetzt andere sich dafür rühmten, "vier, zwölf oder hundert Kinder aufzunehmen", so sei das "im Vergleich reine Symbolpolitik". Recherchen österreichischer Medien machten indes deutlich, dass es sich bei der Zahl 3700 vornehmlich um Asylanträge von Kindern und Jugendlichen handelt, die bereits in den vergangenen Jahren nach Österreich kamen und deren Verfahren jetzt entschieden wurden. Zum anderen, so Kritiker, sei Asyl ein Rechtsanspruch, die Aufnahme von Menschen aus Moria aber ein Akt der Menschlichkeit.

Eine besondere Note erhielt der Streit um die österreichische Position zur Verteilung von Flüchtlingen aus Lesbos schließlich mit einer wohl eher als Provokation gemeinten Aufforderung des konservativen Innenministers Karl Nehammer an den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der bei der Wien-Wahl in Umfragen weit vorn liegt. Wien hatte angeboten, man sei, wie andere Kommunen auch, bereit, hundert unbegleitete Minderjährige aus Moria unterzubringen. Nehammer forderte Ludwig auf, doch stattdessen hundert Kinder in die Landesbetreuung zu übernehmen, die schon im Land seien, aber derzeit vom Bund betreut würden. Der Minister schloss sein Schreiben mit unverkennbarem Sarkasmus: Er bedanke sich für die "Hilfsbereitschaft".

© SZ vom 16.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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