Österreich:Der Termin wackelt

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Die Klage der FPÖ könnte Van der Bellens Vereidigung als Präsident am 8. Juli gefährden. In jedem Fall steht die Briefwahl auf dem Prüfstein.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat bis Anfang Juli so viel zu tun, dass alle mündlichen Verhandlungen abgesagt, alle nicht ganz dringenden Verfahren aufgeschoben worden sind. Schließlich soll vor allem die Wahlanfechtungsklage der FPÖ geprüft werden. Die Bearbeitung dieser Angelegenheit habe Priorität, heißt es im Gericht, das die Beschwerde theoretisch in vier Wochen abgearbeitet haben sollte. So oder so wackelt der Termin für die Vereidigung des mit einer knappen Mehrheit von 31 000 Stimmen gewählten neuen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Diese sollte am 8. Juli stattfinden; aber unter den zuständigen Experten mehren sich skeptische Stimmen, die mutmaßen, alles könne ganz anders kommen - und die Bundespräsidentenwahl müsse tatsächlich ganz oder zumindest in Teilen wiederholt werden.

Die Anfechtungsklage der FPÖ, deren Kandidat Norbert Hofer unterlegen war, war vor einer knappen Woche bei Gericht eingegangen und hatte einiges Aufsehen erregt. Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer (FPÖ) hatte über "unzählige Schlampereien" geklagt, Parteichef Heinz-Christian Strache hatte gemutmaßt, Hofer wäre heute Präsident, wäre die Wahl ordnungsgemäß abgelaufen. Gleichzeitig hatten die Rechtspopulisten ganz grundsätzlich das Briefwahlsystem in Österreich kritisiert.

Das von Böhmdorfer erstellte Papier mit seinen 150 Seiten war aber erst vor wenigen Tagen online gestellt worden, sodass einzelne Fälle auch erst jetzt konkret bewertet werden können. Es enthält eine Mischung aus allgemeinen Vorwürfen, sie betreffen die Feindseligkeit und Voreingenommenheit der μMedien, die Unsitte, dass einzelne Ergebnisse und Trends schon vor Schluss der Wahllokale öffentlich kursieren, und den psychischen Druck, dem Wähler durch Van-der-Bellen-Fans am Wahltag ausgesetzt gewesen seien, die ihren Wahlzettel mit der Stimme für den grünen Kandidaten im Netz gepostet hatten.

Mal abgesehen davon, dass auch Strache selbst gepostet hatte, er habe eben gerade Hofer gewählt, und abgesehen davon, dass die FPÖ in den sozialen Netzen einen massiven und harten Wahlkampf geführt hat, bleibt eine ganze Reihe von Vorfällen übrig, die tatsächlich eine Wahlanfechtung begründen könnten. Offiziell darf in Österreich erst am Tag nach der Wahl ab neun Uhr unter Aufsicht des jeweiligen Wahlleiters und vier anderer Zeugen ausgezählt werden. Die Wahlzettel dürfen vorher aus den Umschlägen genommen, aber nicht geöffnet werden. Geprüft wird in der Regel vor der Zählung, ob die Unterschrift auf dem beiliegenden Dokument fehlt. Die FPÖ moniert, dass schon über Nacht Wahlzettel aus den Umschlägen genommen wurden und dass Beamte - und nicht Mitglieder der Bezirkswahlkommission - gezählt hätten. Allerdings hatten alle FPÖ-Beisitzer in allen Wahlbezirken unterschrieben, dass die Auszählung ordnungsgemäß verlaufen sei. Eidesstattliche Versicherungen über das Gegenteil gaben viele erst hinterher ab, was als Urkundenfälschung gewertet werden könnte.

Der Verfassungsjurist Theo Öhlinger hält trotzdem den Vorwurf der FPÖ für gravierend, dass in einzelnen Bezirken nur eine Person ohne Aufsicht ausgezählt habe. Laut Ex-Verfassungsgerichtspräsident Ludwig Adamovic wäre es bedenklich, sollten schon am Sonntag Stimmen ausgezählt worden sein. Der VfGH muss jetzt entscheiden, ob die Fehler so schwerwiegend sind, dass Stimmen als ungültig gewertet werden müssen - und ob damit das Endergebnis anders ausgefallen wäre. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat jedenfalls für Mittwoch schon mal zu einer Expertenrunde geladen, um grundsätzlich über neue Regeln für die Handhabung der Briefwahl zu reden.

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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