Österreich:Der Charme der Quereinsteiger

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Promi-Faktor: ÖVP-Chef Sebastian Kurz setzte Opernball-Chefin Maria Großbauer auf die Liste. (Foto: Helmut Graf/dpa)

Der Wahlkampf läuft an, und die Parteien überbieten einander mit der Präsentation überraschender, neuer Kandidaten. ÖVP-Chef Kurz setzt besonders auf Promis und Novizen - von Weinkönigin bis Polizist.

Von Peter Münch, Wien

Eine Weinkönig ist gewiss ein Stimmungsgarant, eine ehemalige "Miss Austria" macht immer eine gute Figur. Wenn man dazu noch ein paar Sporthelden und, nur so zur Balance, Geistesgrößen aus der Wissenschaft gruppiert, dann sollte daraus wohl in jedem Fall ein Rezept für den politischen Erfolg werden. Im österreichischen Wahlkampf jedenfalls haben derzeit die Quereinsteiger Hochkonjunktur. Vor der Parlamentswahl am 15. Oktober gerät so die Politik zur Personality-Show - und das ansonsten eher politikverdrossene Publikum darf sich auf immer neue Folgen freuen.

Nach französischem Vorbild wird auch die alte ÖVP zur "Bewegung" erklärt

Vorneweg bei dieser Inszenierung stürmt seit Wochen schon Sebastian Kurz, der Spitzenkandidat der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), die unter seiner forschen Führung nun als "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" firmiert. Neu ist das Promi-Konzept natürlich nicht, schon gar nicht in Österreich. Unübersehbar sind aktuell aber die Anleihen bei Emmanuel Macron, der mit seiner Bewegung En Marche gerade Frankreich aufgemischt hat. Kurzerhand wurde also auch die alte ÖVP zur "Bewegung" erklärt. Die Weinkönigin schaffte es so im Burgenland auf die Landesliste, die frühere Schönheitskönigin in Oberösterreich. Vor allem aber die von Kurz angeführte Bundesliste ist reichlich mit parteilosen Politik-Novizen besetzt worden.

Da kandidiert zum Beispiel auf Platz zehn die frühere Stabhochspringerin Kira Grünberg, die seit einem Trainingsunfall vor zwei Jahren querschnittsgelähmt ist. Ihr Schicksal hat die Nation bewegt. Kurz zeigte sich beeindruckt von ihrer "extrem positiven Lebenseinstellung" und preist die 24-Jährige als "Vorbild für uns alle". Noch ein paar Plätze weiter vorn als Nummer sechs findet sich die Opernball-Organisatorin Maria Großbauer, die für Kunst und Kultur zuständig sein soll. Das Thema innere Sicherheit wird mit einer schmucken Uniform ummäntelt: Auf Listenplatz neun steht der Wiener Landespolizei-Vizepräsident Karl Mahrer, immerhin ein General. Die Wissenschaft schließlich wird vertreten durch den Mathematiker Rudolf Taschner, der sich auch populärwissenschaftlich in Szene zu setzen weiß.

"Wenn man sich die Umfragewerte von Sebastian Kurz anschaut, dann ist das eine erfolgreiche Strategie", sagt die Klagenfur-ter Politikwissenschaftlerin Kathrin Stai-ner-Hämmerle. Der Spitzenkandidat der Volkspartei bediene "die Sehnsucht nach starker Veränderung" und schaffe es, "Aufmerksamkeit auch bei jenen Leuten zu erregen, die eine politische Berichterstattung sonst überblättern". Tatsächlich ist Kurz in den vergangen Wochen durchgestartet: Mit seiner Liste liegt er in den Umfragen stabil vorn mit mehr als 30 Prozent. Dahinter rangeln die SPÖ von Bundeskanzler Christian Kern und die rechte FPÖ von Heinz-Christian Strache mit jeweils rund 25 Prozent um den zweiten Platz.

Der Kanzlerkandidat Kurz vermittelt dem Wahlvolk also mit Erfolg, dass man die Politik nicht länger den Politikern überlassen darf. Paradox daran ist allerdings, dass er selbst nie etwas anderes gemacht hat als Politik. Mit 24 Jahren brach er sein Jurastudium ab und wurde zum Staatssekretär befördert. Mit 30 ist er als Außenminister schon der Veteran am Kabinettstisch der großen Koalition. Alle anderen kamen später dazu, zum Teil als Quereinsteiger - so wie der SPÖ-Kanzler Kern.

Als Kern im Mai 2016 aus der Wirtschaft ins politische Spitzenamt wechselte, verkörperte er ziemlich genau jene "Sehnsucht nach Veränderung", die heute den Wahlkampf seines Rivalen Kurz beflügelt. Er propagierte den Aufbruch auf neuen Wegen - und steckt nun, nur ein Jahr später, mit seiner SPÖ in einer Art Kanzler-Falle: "Wenn man Kanzlerpartei ist, macht es wenig Sinn zu sagen, wir machen alles neu", meint Stainer-Hämmerle. Kerns Konsequenz daraus ist eine stärke Konzentration auf Inhalte, er führt den Wahlkampf vor allem mit dem klassischen Thema Sozialpolitik. Doch der Glamour-Faktor ist da eher gering.

Freilich birgt der Kurs von Kurz auch Ge-fahren. Die Quereinsteiger bringen jedes Parteigefüge durcheinander, und das kann schnell zu Zerreißproben führen. Selbst in der Volkspartei, die sich in diesem Sommer höchst bereitwillig ihrem jungen Spitzenkandidaten unterworfen hat, ist das schon zu spüren gewesen. Als Kurz die Sportlerin Grünberg auch noch auf Platz 1 der Tiroler Landesliste platzierte, zogen drei dortige ÖVP-Politikerinnen aus Protest ihre Kandidaturen zurück.

Der Kanzlerkandidat hat nun kein Ass mehr im Ärmel, und auch keine Dame

Zudem ist man bei Quereinsteigern auch nicht vor Querschlägern gefeit. Einen Vorgeschmack darauf erlebte die Volkspar-tei vor Wochenfrist nach der Präsentation des Mathematikers Taschner. Da wurden von der Konkurrenz sogleich ein paar alte Zitate hervorgekramt aus jenen freimüti-gen Kolumnen, die Taschner für die Tages-zeitung Die Presse geschrieben hatte. Unter anderem hob der nun frisch gekürte Bildungssprecher darin einst den pädagogischen Wert einer "g'sunden Watschn" hervor. Ein andermal bezeichnete er den Klimawandel als "Scheinproblem", was ihm nun sogleich die Grünen vorhalten. Immerhin sitzt er damit wenigstens in einem Boot mit einem siegreichen Quereinsteiger im fernen Washington.

"Quereinsteiger hatten selten ein langes politisches Leben", bilanziert die Politikwissenschaftlerin Stainer-Hämmerle. "Die meisten verschwinden als Hinterbänkler." Ihre Hauptaufgabe haben sie demnach bereits bis zum Wahltag hin erfüllt. Bis dahin sind es in Österreich allerdings noch acht Wochen - und die können lang werden. Nachdem Sebastian Kurz in dieser Woche mit der Präsentation des langjährigen Rechnungshofpräsidenten Josef Moser seine Bundesliste komplettierte, hat er kein weiteres Ass und auch keine Dame mehr im Ärmel. Nun könnten also die Inhalte kommen. Das Programm der neuen Volkspartei aber, so hat Kurz angekündigt, soll erst relativ kurz vor der Wahl im September veröffentlicht werden.

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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