Obamas Rede zur Lage der Nation:Volle Kraft nach links

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Barack Obama will 2014 zu einem "Jahr des Handelns" machen. Innenpolitisch könnte es seine letzte Möglichkeit sein, Spuren zu hinterlassen. Sein postuliertes Ziel? Er will Amerika gerechter machen. Das haben die Vereinigten Staaten auch bitter nötig.

Von Pascal Paukner, San Francisco

Barack Obama war schon eine halbe Stunde mit seiner Rede zugange, da brandete unter den Zuhörern lautstarker Applaus auf, wo zuvor nur verhaltenes Klatschen war. Lange hatte der Präsident ruhig, fast schon bedächtig seine Pläne in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik dargelegt. Dann kam er auf die Gleichstellung von Frauen zu sprechen. "Frauen machen heute etwa die Hälfte unserer Arbeitskraft aus", sagte Obama. Wenn sie aber, wo ein Mann einen Dollar verdient, nur 77 Cent verdienten, dann sei das nicht nur falsch. "Im Jahr 2014 ist das eine Peinlichkeit", rief Obama.

Volltreffer. Begeisterter Beifall, bedeutungsschwangeres Kopfnicken, zustimmende Jubelrufe: Plötzlich stand da wieder der Redner Obama am Pult, plötzlich war Stimmung im Kapitol von Washington. Dorthin war der Präsident am Dienstagabend gekommen, um vor beiden Kammern des amerikanischen Kongresses die alljährliche Rede zur Lage der Nation zu halten. Eine willkommene Möglichkeit für den amerikanischen Präsidenten, seine politischen Ziele für die kommenden Monate vorzustellen. 50 Millionen Amerikaner sitzen zu diesem Anlass vor den Fernsehschirmen, Radiosender übertragen live und jede ernstzunehmende Nachrichtenseite im Land räumt den prominentesten Platz auf ihrer Startseite frei.

Die Aufmerksamkeit ist riesig und Obama kann sie gebrauchen. Nur 43 Prozent der Amerikaner sind mit der Arbeit ihre Präsidenten zufrieden. Ein vergleichsweise mickriger Wert. Im November finden Kongresswahlen statt, die über Obamas Vermächtnis entscheiden. Verlieren die Demokraten dabei auch noch die Mehrheit im Senat, ist Obama für den Rest seiner Amtszeit quasi handlungsunfähig. Lame Duck nennen die Amerikaner solche Präsidenten ohne eigene Mehrheit im Parlament. Bei der derzeitigen Stimmung im Land ist es nicht ausgeschlossen, dass es so weit kommt.

Überwinder der gesellschaftlichen Spaltung

Also muss Obama jetzt handeln. Bereits im Vorfeld hatte das Weiße Haus durchsickern lassen, dass der Präsident nun andere Saiten aufziehen wolle. Robuster, präsidialer soll es künftig zugehen. Wenn das von den Republikanern dominierte Repräsentantenhaus jegliche Reformvorhaben des Präsidenten verhindert, dann macht der Präsident nun eben selbst Politik, mittels Präsidentendirektive.

Was diese neue Politik bewirken kann, davon gab Obama während seiner Ansprache vor dem Kongress nun ein Beispiel. Der Präsident gab bekannt, er werde per Dekret den Mindestlohn für Beschäftigte von Vertragsunternehmen des Staates von 7,25 Dollar auf 10,10 Dollar pro Stunde anheben. Obama hatte dies bereits zuvor flächendeckend durchsetzen wollen, war aber am Widerstand der Republikaner gescheitert. Nun hat er in seinem Verantwortungsbereich gehandelt. "Denn wenn jemand unsere Truppen bekocht oder ihre Teller wäscht, denn sollte er nicht in Armut leben", sagte Obama.

Es ist eine Seite von Obama, die er gerne zeigt. Gerne wäre er der Präsident, der die grobe soziale Ungleichheit in Amerika wieder in geordnetere Bahnen führen könnte. Der die Spaltung des Landes in eine ultrareiche Oberschicht und eine darbende Unterschicht überwinden könnte. Während seiner Rede widmet sich Obama deshalb ausführlich sozialen Themen wie Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheitspolitik und Frauenförderung. Wohl wissend, dass er damit bei den Republikanern niemanden vom Hocker reißt.

"Heute, nach vier Jahren des Wirtschaftswachstums, sind Unternehmensgewinne und Aktienpreise höher als je zuvor, und denen an der Spitze geht es besser als je zuvor", sagt Obama. Er hält den Republikanern ihre Blockadehaltung bei der Gesundheitsreform vor, fordert Steuererleichterungen für Kleinunternehmer, will die auf 26 Wochen befristete Arbeitslosenhilfe verlängern, sagt aber auch Sätze, die mit ordentlich sozialromantischem Kawumms daherkommen: "Das Amerika, das wir für unsere Kinder wollen - ein aufstrebendes Amerika, wo ehrliche Arbeit reichlich ist und die Gemeinschaften stark sind, wo der Wohlstand weit verteilt ist und Chancen für alle dazu führen, dass wir so weit gehen können, wie unsere Träume reichen und unsere Mühe es erlaubt - ist nicht einfach." Solche Aussagen hört man, gerade von einem Präsidenten der Vereinigten Staaten, nicht alle Tage.

Inhaltlich hat Obama wenig Neues zu bieten. Da ist auch kaum überraschend. Viele seiner großen politischen Vorhaben sind nicht an ihrer Untauglichkeit in der Praxis gescheitert, sondern am von den Republikanern dominierten Repräsentantenhaus. Und so fordert er die Opposition einmal mehr zum Handeln auf: "Lasst uns dieses zu einem Jahr des Handelns machen. Das ist es, was die meisten Amerikaner wollen", sagt Obama. Es ist auch der Versuch, sich als Präsident ein Denkmal zu setzen, obwohl die Zeit des innenpolitischen Handlungsspielraums schon fast abgelaufen ist. Nach den Parlamentswahlen im Herbst beginnt mehr oder weniger direkt der Präsidentschaftswahlkampf. Dann kann Obama allenfalls noch außenpolitisch Akzente setzen.

Doch auch dazu äußerte Obama wenig Neues. An den Kongress hatte Obama vor allem eine Botschaft parat: Torpediert die Verhandlungen mit Iran nicht. "Wenn dieser Kongress mir ein neues Sanktionsgesetz schickt, welches die Gefahr birgt, die Verhandlungen zu Fall zu bringen, dann werde ich ein Veto einlegen", betonte Obama. Um der nationalen Sicherheit Willen müsse man der Diplomatie die Chance zum Erfolg geben. Zudem forderte er die Republikaner auf, endlich den Weg freizumachen, das Gefangenenlager in Guantánamo zu schließen.

Die State of the Union Address ist wie geschaffen für Obama

Zum Geheimdienstskandal äußerte sich der Präsident wie erwartet nur kurz. In Zusammenarbeit mit dem Kongress werde man die Geheimdienste reformieren, um die Privatsphäre besser zu schützen, sagte Obama. Alles, was es dazu zu wissen gibt, hatte der Präsident bereits in einer Rede vor anderthalb Wochen gesagt.

Obamas Stärke war auch in der Vergangenheit die Präsenz auf der Bühne, die Rede vor großem Publikum. Die Rede zur Lage der Nation ist - obwohl sie bereits aus den Anfangszeiten der amerikanischen Demokratie stammt - wie geschaffen für ihn. Doch ein guter Redner macht nicht automatisch einen guten Machtpolitiker. Im vergangenen Jahr gab Obama in seiner State of the Union Address die Schaffung neuer Jobs, schärfere Waffengesetze und die Einwanderungsreform als Ziele aus. Bei keinem der drei Ziele konnte Obama bislang signifikante Erfolge vorweisen. Den Wunsch nach strengeren Waffengesetzen sprach Obama diesmal nur am Rande an. Die Einwanderungsreform steht weiter auf der Agenda und könnte möglicherweise bald sogar umgesetzt werden. Die Schaffung neuer Jobs außerhalb des Niedriglohnsektors ist eine große Aufgabe, die Jahre in Anspruch nehmen könnte.

"Unsere Freiheit, unsere Demokratie war nie einfach. Manchmal stolpern wir, wir machen Fehler, werden frustriert oder entmutigt. Aber seit mehr als zweihundert Jahren haben wir diese Dinge auf die Seite geschoben und gemeinsam auf unseren Schultern das Rad des Fortschritts gestemmt", sagte Obama gegen Ende seiner Rede. Eine erste Umfrage im Auftrag von CNN ergab: 44 Prozent der Fernsehzuschauer hatten einen "sehr positiven" Eindruck von Obamas Rede, 32 Prozent beschrieben sie als "einigermaßen positiv", 22 Prozent gefiel die Rede hingegen nicht. Ein überragender Erfolg ist das nicht.

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