NSU-Prozess:Zschäpe setzt auf Eskalation

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Sie überzieht ihre Anwälte mit wüsten Vorwürfen - und deutet an, reden zu wollen.

Von Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz, München

Wird sie nun sprechen? Oder ist alles nur eine Finte, um ihren Willen durchzusetzen? Oder kann sie nicht mehr schweigen, weil ihr das auf die Gesundheit schlägt, wie ihr das ein Psychiater attestiert hat? Auf jeden Fall hat Beate Zschäpe eine elektrisierende Andeutung gemacht. Sie trage sich mit dem Gedanken, etwas auszusagen, ihre Anwälte aber würden sie dann nicht weiter verteidigen wollen. "Ich fühle mich geradezu erpresst", schreibt Zschäpe in einem Brief an das Gericht.

Was dieser Nachsatz, verpackt in ein handschriftliches PS., bedeutet, ist nicht völlig klar. Noch weiß sie vermutlich selbst nicht, wann und über was sie sprechen will. Man merkt ihr nur immer stärker an, wie sie unruhig wird, wenn Zeugen vor Gericht ihre Persönlichkeit beschreiben und sie nicht darauf antworten kann.

Ihre Anwälte aber haben ihr angesichts der Rechtslage empfohlen zu schweigen - denn wenn Zschäpe nur über einzelne Vorwürfe aussagt, kann ihr das negativ ausgelegt werden. Schweigt sie aber grundsätzlich, darf das Gericht das nicht gegen sie werten. Doch Zschäpe gibt offenbar nichts mehr auf den Rat ihrer Anwälte. Sie will sie loswerden. In erster Linie ihre Verteidigerin Anja Sturm.

Zschäpe liefert sich eine Schlammschlacht mit ihren Anwälten. Ihre Vorwürfe werden immer härter, persönlicher. Bis dahin, dass sie ihrem Verteidiger Wolfgang Stahl vorwirft, er organisiere im Gerichtssaal seinen Urlaub. Zschäpe bemüht die Eskalationsstrategie. Und man merkt, dass sie von einem anderen Anwalt juristisch beraten wird, wie sie argumentieren soll: möglichst so, dass keiner mehr an der Zerrüttung des Anwaltsverhältnisses zweifelt. Deshalb will Zschäpe den Richtern am Oberlandesgericht München die Situation so dramatisch wie möglich darstellen. Eines dürfte sie mittlerweile gelernt haben: Ohne eine triftige Begründung und Belege dafür, dass das Verhältnis zu den Anwälten zerrüttet ist, wird Zschäpe keinen neuen Anwalt bekommen. Im vergangenen Jahr war bereits ein Antrag von ihr gescheitert.

Sie sollen angeblich im Gerichtssaal twittern und Vertrauliches ausplaudern: Beate Zschäpe vertraut Anja Sturm und Wolfgang Heer nicht mehr. (Foto: Marc Müller/dpa)

Nun geht der Streit in die nächste Runde. Zschäpe erhebt dabei nicht nur wilde Vorwürfe gegen ihre Verteidigerin Anja Sturm, sondern auch gegen die anderen beiden Pflichtverteidiger. Die Verteidigung bestehe nur noch aus Konfrontation. Zschäpe zitiert aus einem Brief, den die drei Anwälte ihr geschrieben haben. Darin verwahren sie sich offenbar gegen Vorwürfe ihrer Mandantin und weisen diese zurecht. Zschäpes Gebaren, den Anwälten konkrete Anweisungen erteilen zu wollen, widerspreche ihrem Selbstverständnis und dem Wesen einer Verteidigung. Die Rede ist auch von anmaßendem und selbstüberschätzendem Verhalten. Angeblich werfen die Anwälte Zschäpe auch vor, dass diese ihr Wissen nur fragmentarisch weitergebe und dadurch keine optimale Verteidigung möglich mache.

"Ich fühle mich geradezu erpresst", schreibt die Angeklagte im NSU-Prozess

In ihren Schreiben an das Gericht bestätigen die Anwälte, dass ihr Brief an Zschäpe von der Angeklagten im Wesentlichen korrekt wiedergegeben wurde. Zschäpe behauptet, die beiden Männer im Anwaltsteam würden häufig während der Verhandlung im Internet surfen oder twittern. Sie bezichtigt Anja Sturm zudem, nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Die Anwältin habe angeblich vertrauliche Informationen bei einer Zeugenbefragung ausgeplaudert. Sturm hatte das zurückgewiesen. Obendrein behauptet Zschäpe auch noch, der Anwältin gehe es vor allem darum, die Anwaltsgebühren zu kassieren.

Sturm wehrt sich in einem Schreiben an das Gericht erneut gegen die wüsten Vorhaltungen. Alles sei mit Zschäpe abgesprochen gewesen, als es um die Zeugenbefragung gegangen sei. Im Allgemeinen sei ihr in Gesprächen mit Zschäpe an einer sachlichen Atmosphäre gelegen. Die Anwältin stellt außerdem klar, es gebe keinen Zusammenhang zwischen einer Aussage Zschäpes vor Gericht und einem Niederlegen des Mandats.

Anwalt Wolfgang Stahl widersprach der Behauptung, im Gericht zu twittern. Er habe dieses zu keiner Zeit während der laufenden Verhandlung getan. Sein Kollege Wolfgang Heer teilte dem Gericht mit, er könne Zschäpes Äußerung, die Gespräche liefen auf Konfrontation statt auf Kommunikation hinaus, nicht nachvollziehen. Heer schreibt, Zschäpe unterliege hinsichtlich ihres Verhaltens im Prozess keinerlei Einschränkungen. Das bedeutet: Natürlich könnte sie, wenn sie darauf bestünde, jederzeit reden. Viele Nebenkläger vermuten, Zschäpe wolle mit ihrem Schweigen andere Personen schützen. 2011 war ihr die Möglichkeit erklärt worden, als Kronzeugin auszusagen. Sie ging nicht darauf ein.

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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