NSU-Prozess:V-Mann mit Verräterkomplex

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Er war einer der bestbezahlten V-Männer, soll aber auch an einem "Verräterkomplex" gelitten haben - der NSU-Prozess gewährt überraschende Einblicke in die Arbeit des Verfassungsschutzes und die Psyche des Neonazis Tino Brandt.

Von Annette Ramelsberger

Der V-Mann an sich ist ein zartes Wesen. Fasst man ihn zu hart an, entzieht er sich erschreckt. Verlangt man zu viel, quält er sich mit Zweifeln. Bei den Geheimdiensten gibt es ganze Abhandlungen darüber, wie man richtig mit dem Mann oder der Frau umgeht, die ihre Freunde verraten soll. Nachrichtendienst-Psychologie nennt man das, John Le Carré hat darüber viel in seinen Romanen geschrieben. Und am Dienstag, dem 100. Verhandlungstag im NSU-Prozess, bekommt man dafür ein schönes Beispiel.

Es geht um den V-Mann Tino Brandt, der mit Geld des Verfassungsschutzes maßgeblich den rechtsradikalen Thüringer Heimatschutz aufgebaut hat und immer weiter in die Führungskreise der rechten Szene vorstieß. Viele Nebenkläger im NSU-Prozess werfen ihm vor, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erst richtig radikalisiert zu haben. Und ihnen - quasi mit staatlichem Geld - die Möglichkeiten für ihre extremistische Entwicklung verschafft zu haben.

Tino Brandt ist eine bekannte Größe in der Szene, er hat sich gerne präsentiert, auch in Interviews im Fernsehen. Gleichzeitig war er eine der wichtigsten und bestbezahlten Quellen des Verfassungsschutzes. Ein Doppelleben. Doch glaubt man dem Beamten vom Thüringer Verfassungsschutz, der Brandt jahrelang geführt hat, dann litt der V-Mann unter einem "Verräterkomplex".

"Lindern tut da nur Geld"

Man kennt das in der Geheimdienstszene. "Das ist eine völlig normale Geschichte", sagt der Zeuge vom Verfassungsschutz. "Im Linksextremismus noch mehr. Die müssen sich erst daran gewöhnen, dass sie mit dem Staat zusammenarbeiten, den sie eigentlich bekämpfen. Das verursacht eine gewisse Schizophrenie." Der Mann vom Verfassungsschutz weiß aber auch, was gegen die Persönlichkeitsspaltung hilft. "Lindern tut da nur Geld", sagt er vor Gericht. "Zum Schluss konnte ich den Verräterkomplex nicht mehr wahrnehmen. Oder nur noch rudimentär." Otto hieß der V-Mann Brandt mit Decknamen, und er führte die Nummer VM 2045.

Dem Verfassungsschützer gelang es offenbar sehr gut, dass der V-Mann seinen Verräterkomplex nicht mehr spürte. "Wie haben Sie das gemerkt?", fragt Richter Manfred Götzl. - "Er hat völlig unbefangen mit wichtigen Leuten in der Szene telefoniert, und er hat das Handy lautgestellt, und ich konnte mithören. Ich habe das als Vertrauensbeweis empfunden, ich wusste, dass das authentisch ist und dass der andere Gesprächspartner nicht wusste, dass der V-Mannführer direkt neben Brandt sitzt." Selten bekommt man so hübsche Einblicke in die Arbeit von V-Mann und Verfassungsschutz.

Noch ist Tino Brandt nicht vor Gericht erschienen, aber es wurden schon einige Herren vom Verfassungsschutz gehört, die sich um ihn kümmerten. Er galt lange als wichtigste Quelle des Thüringer Verfassungsschutzes und man weiß nun auch, was er dem Staat wert war: 200 bis 400 Mark je Treffen. Und getroffen hat man sich ein- bis zweimal die Woche. Und dazu gab es noch eine Motivationsprämie, zum Beispiel, wenn die Geheimen möglichst schnell wissen wollten, was die Rechtsradikalen am Tag des Führergeburtstags oder bei Rudolf-Hess-Gedenkmärschen vorhatten.

Geld habe da keine Rolle gespielt, sagte der Verfassungsschützer. "Im Gegensatz zu anderen Quellen stimmte die Relation." Man versuchte dann auch, über Brandt an die untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt heranzukommen - mit einem verwanzten Auto, das Brandt einem Kumpel aus der rechten Szene unterjubelte. Der aber fuhr nicht zu den dreien.

Immer hatten die Verfassungsschützer aber auch das Gefühl, Brandt wolle sie austricksen. Ihr Lösungsmittel: wieder Geld. "Wenn wir glaubten, dass er Infos nicht liefert, dann haben wir den Geldhahn zugedreht. Das Spiel haben wir ganz gut beherrscht", sagt der Zeuge.

Dummerweise lief die gute Quelle dann aber aus dem Ruder. Brandt wollte Karriere machen in der NPD. "Er wurde omnipotent in der Szene", sagte der Verfassungsschützer - und mit einem Anflug von Selbstkritik fügt er hinzu: "Mutmaßlich, weil wir ihn gut ausgestattet haben, hat er den Ton in der Szene angegeben. Da sind wir auf die Bremse getreten. Das wollten wir nicht. Aber das Bremsen ist uns nicht so gelungen wie wir uns das gewünscht haben." Da hatte der V-Mann längst die Szene mit Steuermitteln gepäppelt.

Dann trat noch ein weiterer Zeuge auf, der Mann, der Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt 1998 zwei Wochen lang Unterkunft gab, als sie untergetaucht waren. Es ist wie immer, wenn Zeugen aus der rechten Szene im NSU-Prozess aussagen sollen: Sie wissen nichts, sie erinnern sich an nichts. Bei diesem arbeitslosen Maurer aus Chemnitz ist der Beruf auch Programm: Der Mann mauert.

Er behauptet, die drei seien vor seiner Tür in Chemnitz gestanden. Er habe sie reingelassen und sonst nichts. "Haben Sie nicht geredet, woher sie kamen", fragt der Richter. Nein. "Haben Sie nicht gefragt, warum sie bei Ihnen schlafen wollen?" Nein. So geht es über Stunden. Und als der Zeuge dann noch erklärt, er wolle keine Auskunft geben zu seinen eigenen Aktivitäten in der rechten Szene - da droht der Richter zum ersten Mal in diesem Prozess mit Ordnungsgeld und Ordnungshaft. Der Zeuge hat Bedenkzeit, er muss wiederkommen.

© SZ vom 02.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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