NSU-Prozess:Spur führt in die Alpen

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  • Ein ehemaliger Gerichtspräsident aus der Schweiz wird im NSU-Prozess zur Herkunft der Ceska-Pistole vernommen, mit der das NSU-Trio seine Morde verübte.
  • Der 64-Jährige Jurist hatte 2012 den Schweizer Hans-Ulrich M. verhört, der unter Verdacht steht, die Waffe beschafft zu haben. Er kann sich aber im Zeugenstand an nichts erinnern.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz, München

Richter vernimmt Richter - diese Situation ist delikat. Im NSU-Prozess ist am Mittwoch ein ehemaliger Gerichtspräsident aus der Schweiz als Zeuge geladen. Der Mann ist mittlerweile im Ruhestand. Zwischen ihm und Richter Manfred Götzl entwickelt sich ein seltsamer Dialog. Denn der 64-jährige Schweizer kann sich an fast gar nichts mehr erinnern. Götzl fragt trotzdem weiter, der Zeuge wirkt irritiert.

Worum geht es? Der Zeuge soll über eine Vernehmung berichten, die er Anfang 2012 mit einem Beschuldigten geführt hat, dem Schweizer Staatsbürger Hans-Ulrich M. Dieser steht im Verdacht, am Anfang der Lieferkette für die Ceska-Pistole gestanden zu haben, mit der die NSU-Terroristen neun Menschen ermordeten. Zeitweilig saß Hans-Ulrich M. deshalb in Untersuchungshaft, doch letztlich ließ sich der Verdacht einer Beihilfe nicht erhärten.

Da es bisher nicht gelungen ist, Hans-Ulrich M. zu einer Aussage in Deutschland zu bewegen, versucht das Gericht, seine Rolle mit Hilfe anderer Zeugen zu ergründen. Doch der pensionierte Schweizer Richter hat alles vergessen. Als Haftrichter habe er nur prüfen müssen, ob jemand ins Gefängnis komme oder nicht. Eine durchschnittliche Vernehmung dauere nur 25 Minuten, sagt er: "Ich weiß einfach nichts mehr. Ich kann Ihnen keine Fragen mehr beantworten."

Götzl bleibt hartnäckig

Man hat schon viele Zeugen im NSU-Prozess erlebt, die sich nicht erinnern konnten oder wollten - die meisten von ihnen gehörten der rechten Szene an. Nun aber hat es Götzl mit einem seriösen Berufskollegen zu tun, der keinen Grund hat zu mauern. Dennoch ist erstaunlich, wie wenig der Schweizer behalten hat. Würde man sich denn nicht an einen spektakulären Fall, der das große Nachbarland erschüttert, zumindest vage erinnern? Der Richter im Ruhestand beteuert, er habe 800 Fälle im Jahr bearbeitet und etwa 50 Haftfälle (das sei nur ein "Nebengeschäft" für ihn gewesen). Da könne man sich nicht alles merken.

Götzl trägt dem Zeugen immer wieder einzelne Passagen aus dem damaligen Protokoll vor, aber auch das hilft nichts. "Ich muss es noch einmal sagen: Ich weiß wirklich nichts mehr." Einzig, dass es irgendwie um Waffen gegangen sei, falle ihm wieder ein.

Als Götzl unablässig weiterfragt, verschärft der Zeuge ein wenig den Ton: "Ich kann mich nach den Jahren wirklich nicht mehr erinnern. Ich habe erklärt warum, oder?" Die Frage "oder?" am Ende eines Satzes ist eigentlich eine liebenswürdige Schweizer Eigenheit, aber hier klingt sie nun doch fast ein bisschen pampig. Götzl erklärt dem Kollegen, dass es zur Aufklärungspflicht des Gerichts gehöre, zu prüfen, ob nicht doch noch eine Erinnerung wiederkomme. Vergeblich.

Der Weg, den die Ceska-Pistole aus der Schweiz nach Jena nahm, bleibt unklar. Am Mittwoch sagte als weiterer Zeuge ein Mann aus dem thüringischen Apolda aus, den Hans-Ulrich M. vor Kurzem im Gespräch mit einem Nebenklage-Anwalt überraschend als angeblichen Käufer der Ceska benannt hat. Doch der Mann aus Apolda streitet ab, etwas mit der Ceska zu tun zu haben. Er sei auch nie in der Schweiz gewesen. Hans-Ulrich M. erzähle ständig irgendwelche Geschichten.

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