NS-Verbrecher Heim:Wo "Onkel Tarek" seine Kuchenstückchen kaufte

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Es ist unwahrscheinlich, dass der NS-Verbrecher Aribert Heim ohne Mitwisserschaft der Geheimdienste unerkannt im selben Hotel in Kairo leben konnte.

T. Avenarius

Abgesehen von seiner hünenhaften Körpergröße und der Mensurnarbe im Gesicht dürfte der alte Herr nicht aufgefallen sein im Café "Groppi".

Das Café Groppi in Kairo. Hier verkehrte der gesuchte NS-Verbrecher Aribert Heim regelmäßig. (Foto: Foto: AFP)

Wenn es nicht mit Reiseführern bewaffnete Touristen sind, die das berühmte Caféhaus in der Innenstadt von Kairo aufsuchen, sitzen vor allem ältere Menschen an den angestaubten Tischen: Das "Groppi" erinnert ohne jede Eigenanstrengung an die Zeit vor dem Sturz des ägyptischen Königshauses, an die Revolutionszeit der Nasser-Offiziere, an Kairos bessere Zeiten.

Wenn der KZ-Arzt und Waffen-SS-Offizier Aribert Ferdinand Heim also wirklich im "Groppi" verkehrt und dort Kuchenstückchen für Bekannte und Freunde gekauft haben sollte, wird sich kaum einer über ihn gewundert haben.

Auch die ausgedehnten Spaziergänge, die der als "Doktor Tod" im Konzentrationslager Mauthausen gefürchtete Österreicher in der Innenstadt unternommen haben soll, passen ins Bild: In Ägyptens Hauptstadt leben fast 18 Millionen Menschen. Seltsame Figuren, die durch die lärmigen Straßen von Downtown mit dem Café Groppi und den Teehäusern, Kneipen und Geschäften schlendern oder den Weg bis hinauf zur islamischen Altstadt samt Al-Ashar-Moschee nehmen, gibt es genug. Auch Ausländer.

Dass der weltweit gesuchte Heim laut ZDF und New York Times zum Islam übergetreten und einen arabischen Namen angenommen hat, wird ihm die Tarnung erleichtert haben. Als "Onkel Tarek" bei Nachbarn und Bekannten beliebt, lebte Heim alias Tarek Hussein Farid zumindest die letzten Jahre offenbar ununterbrochen im selben Hotel.

Schäbige Absteigen und ein- bis zweisternige Hotels wie das "Kasr Al-Medina" gibt es in Kairo ebenfalls zu Hunderten. Neben Reisenden finden oft alte Menschen ohne Familie dort ihren Wohnort. Sie gehören nach einer Weile zum Mobiliar. So anscheinend auch der sich über Jahre in Ägypten versteckende Heim.

Bei den Botschaften in Kairo, seien es die deutsche oder die österreichische, wird er sich hingegen kaum gemeldet haben. Da er als der meistgesuchte überlebende NS-Verbrecher in den Interpol-Fahndungslisten stand, wäre er dort wohl identifiziert worden. Sein österreichischer oder deutscher Pass jedenfalls muss lange abgelaufen und ungültig gewesen sein.

Die österreichische Botschaft geht davon aus, dass Heim deutscher Staatsbürger war: Die deutsche Botschaft hat offiziell knapp 3000 Inhaber deutscher Pässe in Kairo registriert. Mit deren Familienangehörigen steigt die Zahl auf etwa 6400 Personen.

Hinzu kommen noch geschätzte 3000 Deutsche, die sich bei der konsularischen Vertretung nicht haben registrieren lassen - aus welchen Gründen auch immer. "Doktor Tod" wird dazu gehört haben, zumal er möglicherweise einen gültigen ägyptischen Pass mit seinem arabischen Namen besaß und damit vielleicht auch ganz offiziell gemeldet war.

Ohne zumindest inoffizielles Mitwissen der ägyptischen Sicherheitsdienste kann der für seine Menschenversuche berüchtigte Nazi-Mediziner sein Inkognito-Leben aber über mehrere Jahrzehnte kaum geführt haben.

Ägypten ist ein klassischer Überwachungs- und Polizeistaat. Die Bürokratie funktioniert ebenso schleppend wie sie allgegenwärtig ist. Falsche ägyptische oder andere Pässe, die über lange Jahre hinweg ihre Funktion erfüllen, können nicht an der Straßenecke gekauft werden: Landestypische Korruption und Bestechung oder aber die Mitwisserschaft der Inlandsdienste scheinen im Fall Heim wahrscheinlicher zu sein als pures Glück des NS-Schergen.

© SZ vom 06.02.2009/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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