Nordrhein-Westfalen:"Perfide Stimmungsmache"

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Rücktritt gefordert: NRW-Ministerin Müller-Piepenkötter wehrt sich gegen die Vorwürfe, sie habe von Missständen in der JVA Aachen gewusst.

Der spektakuläre Ausbruch aus dem Aachener Gefängnis hat zu einem heftigen Schlagabtausch im nordrhein-westfälischen Landtag geführt. NRW-Justizministern Roswitha Müller-Piepenkötter trage die politische Veranwortung für die Flucht der zwei Schwerverbrecher, erklärten Vertreter von Sozialdemokraten und Grünen nach einer Sondersitzung des Rechtsausschusses am Freitag in Düsseldorf.

"Eine Kette von Pannen und Affären": Die Opposition hat der NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter im Fall der beiden aus der JVA Aachen ausgebrochenen Verbrecher schwere Vorwürfe gemacht. (Foto: Foto: dpa)

Es werde höchste Zeit, die "Pannenministerin" zu entlassen, sagte der rechtspolitsche Sprecher der SPD-Fraktion, Ralf Jäger. Die Ministerin habe "jeden Bezug zu den Realitäten in den Anstalten verloren und deshalb handelt sie, wie sie handelt, nämlich gar nicht", sagte er.

"Ihre Amtszeit ist eine Bilanz des Versagens", erklärte die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Monika Düker. Die Ministerin habe es nicht geschafft, strukturelle Missstände im NRW-Strafvollzug in den Griff zu bekommen. Dabei verwies sie auf Krankenstände von fast 20 Prozent in dem Aachener Gefängnis, die hohe Zahl von Überstunden bei den Bediensteten und fehlendes Personal. Sie warf der Ministerin vor, die tatsächlichen Fakten zu verschweigen.

Müller-Piepenkötter wies Vorwürfe der Opposition als "perfide Stimmungsmache" zurück. Die Ausbruchzahlen seien im Vergleich zu rot-grünen Regierungszeiten stark rückläufig und sogar gegen Null gesunken. "Nie war der Justizvollzug so sicher wie heute", sagte die Ministerin in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses.

Auf einen warnenden Brief des Personalrates, der den hohen Krankenstand und die Überstundenzahlen in der JVA beklagte, habe ihr Haus schnell und umfassend reagiert, sagte die Justizministerin. Überstunden seien ausgezahlt und abgebaut, fünf Bedienstete eingestellt worden. Während des Ausbruchs sei die Anstalt nicht personell unterbesetzt und auch nicht mit Gefangenen überbelegt gewesen.

Die Ministerin appellierte an die Opposition, "von konstruierten Vorwürfen Abstand zu nehmen". Der Personalabbau in den Gefängnissen sei unter ihrer Verantwortung gestoppt worden. Inzwischen gebe es wieder mehr Personal in den Gefängnissen als unter rot-grüner Regierungsverantwortung. Der Ausbruch sei nach derzeitigem Kenntnisstand ausschließlich auf die massive Fluchthilfe eines Bediensteten zurückzuführen.

CDU-Abgeordnete empören sich

Die Ministerin habe verschwiegen, dass gegen den verdächtigen Gefängniswärter bereits früher wegen der Entweichung eines Freigängers ermittelt wurde, kritisierte Jäger. Die Ermittlungen seien eingestellt worden, der Verdacht habe sich nicht bestätigt, empörten sich die CDU-Abgeordneten.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) warf der Opposition vor, eine Kampagne gegen Müller-Piepenkötter zu inszenieren. SPD und Grüne hätten ihre Rücktritts- und Entlassungsforderungen gegen die Ministerin schon vor der Sondersitzung des Rechtsausschusses gestellt, sagte Rüttgers am Freitag in Düsseldorf. "Das zeigt, es ging nicht um Sachverhaltsaufklärung, sondern darum, eine politische Kampagne zu führen." Dazu werde er sich daher nicht weiter äußern.

Der Geiselgangster Michael Heckhoff (50) und der verurteilte Mörder Peter Paul Michalski (46) waren in der vergangenen Woche geflohen und sind inzwischen wieder hinter Gittern. Ein 40-jähriger Gefängniswärter soll ihnen beim Ausbruch geholfen haben und sitzt deswegen in Untersuchungshaft.

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