Nordkorea:Nächtliche Raketenschau

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Zum 75. Gründungstag der Arbeiterpartei präsentiert das sozialistische Land neue Waffen mit Rekordreichweite. Die Worte Kim Jong-uns klingen jedoch beinahe versöhnlich.

Von Paul-Anton Krüger, München

Die größte Neuheit hat sich Kim Jong-un für das Ende der Militärparade aufgespart, mit der Nordkorea den 75. Gründungstag der Arbeiterpartei beging. Vier gigantische Lastwagen mit jeweils elf Achsen rollten an der Tribüne auf dem Kim-Il-sung-Platz vorbei, von der Kim die Parade abnahm und zuvor eine Rede hielt. Sie tragen die größten Interkontinental-Raketen, die das kommunistische Land je vorgeführt hat, gar eine der größten flüssigkeitsgetriebenen ballistischen Raketen weltweit. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich dabei um Attrappen - allerdings von einem Waffensystem, das sich in Entwicklung befinden dürfte.

Nordkorea hat seit Ende 2017 keine Raketen interkontinentaler Reichweite mehr getestet. Das ist die rote Linie von US-Präsident Donald Trump, der eine Reihe von Abschüssen kleinerer Raketen ignoriert hat. Doch dem Vernehmen nach ist er schwer verstimmt nach der Parade. Die Präsentation der Rakete sei "enttäuschend", ließ sich ein hochrangiger Mitarbeiter des Weißen Hauses zitieren. Das dürfte umso mehr gelten, als auch die bereits getestet Hwasong-15 gezeigt wurde, die mehr als 12 000 Kilometer Reichweite haben soll. Wie die neue Rakete könnte sie ihren Dimensionen nach mehrere Atomsprengköpfe tragen - ein Mittel, um die US-Raketenabwehr zu überwinden. Zudem zeigte das Militär eine für den Abschuss von U-Booten konzipierte ballistische Rakete, die mit einem Feststofftriebwerk ausgestattet sein dürfte.

Mit Tränen auf den Wangen entschuldigt sich Kim Jong-un bei Soldaten

Kim Jong-un, in einen grauen Anzug westlichen Schnitts gekleidet, verzichtete in seiner Rede auf bedrohliche Rhetorik, erwähnte weder die USA noch Trump namentlich. Dagegen sprach er über den Süden - und das in freundlichen Worten. Er hoffe auf den Tag, an dem die Koreaner wieder Händehalten könnten, sagte er. Eine politische Botschaft, die sich aber auch auf die Corona-Lage in Südkorea bezog. Im Norden, sagte Kim, gebe es keine Erkrankungen. Auf der Massenveranstaltung mit Tausenden Soldaten und Zehntausenden Zuschauern waren keine Masken oder andere Vorsichtsmaßnahmen zu erkennen.

Warum die Parade nicht bei Tageslicht stattfand, bleibt das Geheimnis der nordkoreanischen Staatsführer. Die Attrappen neuartiger Langstrecken-Raketen wurden bei ihrem Zug durch Pjöngjang künstlich ausgeleuchtet. (Foto: KCNA via Reuters)

Kim ging auf die Härten ein, die Nordkorea zu bewältigen hatte: mehrere Taifune, schwere Überflutungen und die Corona-Pandemie, deren Übergreifen auf Nordkorea er mit einer drastischen Abriegelung des Landes abzuwenden versucht. Die Folge ist allerdings, dass der Handel mit China, dem wichtigsten Verbündeten, eingebrochen ist, und sich die Versorgungslage für die Bevölkerung verschärft hat. Mit Tränen auf den Wangen entschuldigte sich Kim bei den Soldaten, die er zum Wiederaufbau zerstörter Orte abkommandiert hatte und bei seinem "großartigen Volk", dass er sie nicht angemessen belohnen haben könne. Er machte dafür aber Naturkatastrophen und die Sanktionen verantwortlich - Ursachen jenseits seiner Kontrolle.

War der politische Kern der Rede an das eigene Volk gerichtet, enthielt die Militärparade dennoch wichtige Botschaften an Nachbarstaaten und die USA: Nordkorea arbeitet auf breiter Front an der Modernisierung seines Militärs. Die Armee führte neue Uniformen, Sturmgewehre und Infanteriefahrzeuge vor, einen neuen Kampfpanzer, bisher unbekannte Luftabwehrsysteme oder schwere Raketenwerfer. All dies sind Waffensysteme, die bei einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel das militärische Kräfteverhältnis deutlich zu Gunsten Pjöngjangs verändern würden.

Punkt Mitternacht begannen die Feierlichkeiten, sie wurden jedoch nicht live übertragen

Offen ist, wie viele davon Nordkorea in großem Maßstab produzieren kann oder bereits in die Streitkräfte eingeführt hat. Auch wirft die Ähnlichkeit zu bekannten russischen und chinesischen Waffensystemen die Frage auf, ob von dort weiterhin Waffentechnologie nach Nordkorea gelangt. Zumindest aber liefert die Parade einen Anhaltspunkt dafür, dass Kim Jong-un die angekündigte Konzentration auf die Entwicklung strategischer Waffen und der Modernisierung des Militärs auch umsetzt. Hatte er 2018 noch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zur Priorität erhoben, revidierte er dies Ende 2019 nach dem Scheitern seiner Verhandlungen mit US-Präsident Donald Trump. Die Aufrüstung müsse notfalls auch auf Kosten der wirtschaftlichen Entwicklung Vorrang haben, sagte Kim im Dezember 2019.

Feuerwerk kann man natürlich nur vorm Nachthimmel richtig sehen. Kim Jong-uns Rede richtete sich vor allem ans eigene Volk, auf bedrohliche Rhetorik verzichtete er. (Foto: KCNA via Reuters)

Um die Militärparade hatte es Verwirrung gegeben. Obwohl Südkoreas Geheimdienst schon Samstagmorgen Aktivitäten in Pjöngjang registriert hatte, gab es bis zum Nachmittag weder Berichte der Staatsmedien noch Bilder von der Parade. Ausländische Diplomaten oder Journalisten durften den Aufmarsch anders als bei früheren Anlässen nicht beobachten. Dann allerdings strahlte das Staatsfernsehen eine aufwendig produzierte, zweieinhalbstündige Dokumentation der Veranstaltung aus.

Das Video beginnt mit Drohnenbildern von menschenleeren, aber hell erleuchteten Straßen im Zentrum Pjöngjangs, die von Hochhäusern gesäumt sind. Zu sehen sind Militärfahrzeuge, die bereits Aufstellung für die Parade bezogen haben. Ein Uhrturm kommt ins Bild, die Zeiger stehen auf zwölf. Punkt Mitternacht, so suggeriert die Inszenierung, beginnen die Feierlichkeiten, durchchoreografiert wie immer. Kim bekommt von Kindern Blumen überreicht, als er das eigens neu errichtete Tribünen-Gebäude betritt, das mit weißem Marmor verkleidet ist; der Platz davor war ebenfalls renoviert worden.

Womöglich hing es mit der aufwendigen Produktion zusammen, dass die Aufnahmen vom Staatsfernsehen mit einer Verspätung von mehr als zwölf Stunden ausgestrahlt wurden. Warum Kim aber die Parade nachts unter gleißendem Scheinwerferlicht abhalten ließ, ist nicht bekannt. Hochauflösende scharfe Bilder unter guten Lichtverhältnissen liefern westlichen Geheimdiensten vielleicht mehr Hinweise. Dem Gegner die eigenen militärischen Fähigkeiten glaubhaft zu demonstrieren, ist allerdings einer der zentralen Gründe, überhaupt Militärparaden abzuhalten.

© SZ vom 12.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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