Nordkorea:Muss die Welt eine Nuklearmacht Nordkorea akzeptieren?

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Ob Nordkoreas Diktator Kim und seine Generäle sich so freuen, weil sie wissen, dass ihnen niemand ihre Nuklearbombe mehr so einfach wegnehmen kann? (Foto: REUTERS)

Schon viele US-Präsidenten haben sich darum bemüht, dass Nordkorea keine Atomwaffen entwickelt und baut - erfolglos. Die Chancen, dass das Regime sein Programm komplett einstellt, sind äußerst gering.

Von Georg Mascolo

Wie entschärft man eine Weltkrise? Man kann es mit Diplomatie versuchen, so wie Bill Clinton. Der damalige US-Präsident schickte seine Außenministerin Madeleine Albright nach Pjöngjang, mit einem Brief, in dem er weitreichende Verhandlungen anbot und mit einem Basketball, handsigniert von Michael Jordan, dem bewunderten Lieblingssportler des damaligen Machthabers. Kim Jong-il, Vater des heutigen Herrschers Kim Jong-un, ließ Feuerwerke abbrennen, hunderttausend Tänzerinnen und Soldaten formten kommunistische Symbole, Albright brachte beim Abendessen einen Toast aus: Ja, die Beziehungen seien schlecht, "aber wir entdecken, dass uns nichts daran hindert, diese zu verbessern". Kim bat um ihre E-Mail-Adresse.

Dann wurde der Filmfan ganz rührselig und gestand, "Titanic" könne er keinesfalls noch einmal schauen. Zu traurig offenbar für den Betreiber des weltweit größten Gulag-Systems. Und doch schien Frieden möglich zu sein in jenem Oktober des Jahres 2000. Aber die Verhandlungen scheiterten. Clinton überließ Nordkorea seinem Nachfolger George W. Bush.

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Man kann es mit Drohungen versuchen, so wie Bush, der zwei Jahre später mit geballter Faust und zusammengekniffenen Lippen Nordkorea gemeinsam mit Iran und dem Irak zur "Achse des Bösen" erklärte. Gerade erst hatten die Anschläge des 11. September 2001 die USA erschüttert, Bush legte ein Versprechen ab: Man werde nicht zulassen, dass "die gefährlichsten Regime der Welt uns mit den gefährlichsten Waffen der Welt bedrohen".

Nordkorea erwirtschaftet nur halb so viel, wie die Amerikaner für ihre Haustiere ausgeben

Als Bush das Weiße Haus verließ, hatte er alle politische und militärische Kraft darauf verwendet, ein Land anzugreifen, in dem es gar keine Massenvernichtungswaffen mehr gab. Zumindest widerstand er dem Drängen seines Vizepräsidenten Dick Cheney, auch noch Iran anzugreifen. Bush hatte genug vom Bomben und stimmte der Suche nach einer Verhandlungslösung zu. Viel später sollte daraus einmal ein diplomatisches Meisterstück werden, eine internationale Vereinbarung, die die atomaren Ambitionen Irans jedenfalls mindestens für die kommenden acht Jahre bremsen soll. Nordkorea überließ Bush seinem Nachfolger Barack Obama.

In dessen Amtszeit fielen die meisten der Atombombentests, erst Fehlschläge, dann aber gelangen die Zündungen auf dem Testgelände in Punggye-ri. Obama beauftragte die CIA, mithilfe von Sabotage und Cyber-Angriffen die Aufrüstung zumindest zu verlangsamen. Das Problem Nordkorea überließ er seinem Nachfolger, Donald Trump.

Kurz vor der Amtsübergabe traf sich Obama mit Trump im Oval Office, um ihn über die Weltlage zu informieren. Nordkorea, so warnte er seinen Nachfolger, werde die größte Herausforderung seiner Präsidentschaft. So ist es gekommen. Eine Krise, die kein US-Präsident lösen konnte, liegt nun in den Händen eines Mannes, der ohne politische oder militärische Erfahrung ins Amt kam.

Ein Konflikt und ein unberechenbarer Präsident, diese Mischung besorgt nun Politiker in aller Welt. Wahr ist aber auch, dass sie für Trump noch schwerer zu lösen sein könnte als für seine Vorgänger. Nordkorea ist ein Land, das nur halb so viel erwirtschaftet, wie die Amerikaner jährlich für ihre Haustiere ausgeben. Es brachte die Welt schon einmal an den Rand eines Atomkrieges; amerikanische und chinesische Soldaten schossen hier in den Fünfzigerjahren zum ersten und einzigen Mal aufeinander - US-Militärs wollten 34 Atombomben auf chinesische Städte werfen. Nun wird es zur Herausforderung für einen US-Präsidenten, die Weltordnung und das ohnehin unter Druck geratene Regelwerk für die Nichtverbreitung atomarer Waffen.

Lange galt Nordkorea als die Krise, die nie verschwindet, aber auch nicht eskaliert. Beim Bundesnachrichtendienst (BND) prägten sie dafür den Begriff des "Provokationszyklus": Dies beschreibt das wiederkehrende Muster von Drohungen aus Pjöngjang, abgelöst durch ein Zeichen der Entspannung und Verhandlungsbereitschaft. Ausgeschlossen ist nicht, dass es auch dieses Mal wieder so kommt.

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(Foto: Stringer)

Ein Toast auf die Entspannung: Im Herbst 2000 führten Staatschef Kim Jong-il und US-Außenministerin Madeleine Albright noch ein persönliches Gespräch.

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(Foto: AFP)

Unter Sohn Kim Jong-un (im Bild bei einem Raketentest) ist die Lage weitaus bedrohlicher geworden.

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(Foto: Jonathan Ernst/Reuters)

Nordkorea fordert nun US-Präsident Donald Trump heraus.

Zeichen der Entspannung aber gibt es unter Kim Jong-un in der letzten Zeit seltener, die Aufrüstung hat der übergewichtige 33-Jährige mit Schweizer Schulerziehung beschleunigt. Vier der sechs Atombombentests fanden in seiner Amtszeit statt, hinzu kommen mehr als 80 gestartete Raketen, mehr als doppelt so viel wie unter seinem Vater und Großvater zusammen. Die Reichweite der Raketen steigt, die Zerstörungskraft der Nuklearwaffen ebenfalls. Noch gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, ob das Regime, wie behauptet, eine Wasserstoffbombe gezündet hat. Erst die nach einem Test in der Atmosphäre zu messende Strahlung und radioaktive Gase geben darüber Aufschluss. Aber Nordkorea zündet seine Bomben tief und hat die Schächte verdämmt. In der Vergangenheit hat es seine Fähigkeiten oft übertrieben dargestellt.

Die seismografischen Erkenntnisse aber scheinen eindeutig genug zu sein, das Land macht Fortschritte. Trump hat es anders als seine Vorgänger nicht mehr mit einer weitgehend theoretischen Bedrohung zu tun. Sondern mit einer real existierenden. Wie real, ist unter Geheimdiensten und Militärführern umstritten. Die Mehrheitsmeinung ist, dass das Land die sogenannte Miniaturisierung bereits beherrscht, also atomare Sprengköpfe, die von Gewicht und Größe von einer Rakete befördert werden können. Umstritten ist, ob sie bereits die USA erreichen könnten - und dann übrigens auch Europa. Gesichert ist dies nicht. Die erste entsprechende Warnung betreffend der Reichweite der Raketen gab es im Jahr 2000 - und damit anderthalb Jahrzehnte zu früh.

Obamas frühere Sicherheitsberaterin Susan Rice hat gerade vorgeschlagen, man solle das Prinzip der nuklearen Abschreckung anwenden. Trumps Mann auf diesem Posten, der General Herbert McMaster, lehnt das ab. Abschreckung funktioniere nur gegenüber einem rationalen Gegner. Weiter verhandeln - das fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel in diesen Tagen und verweist als Vorbild auf die Iran-Krise. Tatsächlich ist es niemals zuvor gelungen, einen massiven Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag ohne militärischen Einsatz friedlich zu beenden. Unterschiede allerdings fallen auf: Im Fall Iran verfolgten Russland, China, die USA und Europa ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Strategie. Im Fall Nordkorea können sich die Beteiligten bisher auf keine Strategie einigen. Trump sagt, reden bringe nichts. Putin sagt, drohen bringe nichts. China mahnt zur Mäßigung.

Zudem betrieb Iran ein Urananreicherungsprogramm und hatte - höchstwahrscheinlich - erste Versuche zum Bau einer Bombe selbst beendet. Nordkorea ist bereits Atommacht. Und was für eine. Vom früheren US-Außenminister Colin Powell ist der Satz überliefert, dass Nordkorea nicht verrückt genug sei, andere Staaten anzugreifen. Aber arm genug, um an jeden zu verkaufen, der dafür bezahlt. Seinen Aufstieg zur Nuklearmacht verdankt das Land jedenfalls in Teilen dem sogenannten Schwarzmarkt des Schreckens, Staaten und dubiosen Händlern, die in den vergangenen Jahrzehnten Pläne für Atom- und Raketentechnologie austauschten oder verkauften. Die Anlagen zur Urananreicherung kaufte Nordkorea in Pakistan. Schon 1992 hielt die russische Polizei auf einem Moskauer Flughafen 60 arbeitslos gewordene Raketenwissenschaftler auf, die nach Pjöngjang fliegen wollten.

Aus dem Importeur ist heute ein Exporteur geworden. 2007 präsentierte die israelische Regierung im Weißen Haus das Foto von Chon Chibu, einem der führenden Männer des nordkoreanischen Nuklearprogramms. In blauer Trainingshose stand er neben dem Vorsitzenden der syrischen Atomenergiekommission. Die israelische Luftwaffe bombardierte im September 2007 in der Operation "Obstgarten" einen offenbar mit nordkoreanischer Hilfe gebauten Reaktor in der syrischen Wüste. Ohne die Aktion, so sagen es israelische Experten, könnte auch Syrien Atommacht sein. Und schließlich: Iran hatte weltweite Finanz- und Handelsbeziehungen.

Die Sanktionen wirkten. Nordkorea wird bereits seit Jahrzehnten mit solchen Maßnahmen überzogen, inzwischen ist sogar der Export von Kohle, Meeresfrüchten, seltenen Metallen und von Arbeitskräften untersagt. Nun wird über ein Importverbot für Öl diskutiert. Nach neuesten Überlegungen im UN-Sicherheitsrat könnten künftige Sanktionen darauf ausgerichtet sein, eine weitere Eskalation der Lage zu verhindern: Scharfe Maßnahmen für jeden weiteren Atombombentest und Raketenabschuss. Oder der Verzicht, wenn weitere Provokationen aus Nordkorea ausbleiben. Es wäre der Versuch, die Lage zu beruhigen. Die entscheidende Frage aber bliebe: Was ist das endgültige Verhandlungsziel? Eine Zerstörung aller Bomben, die Rückkehr in den Atomwaffensperrvertrag und ein Ende solcher gefährlicher Geschäfte wie mit Syrien? Ein diplomatischer Triumph also, wie die Vereinbarung mit Iran?

Nicht einmal der frühere CIA-Chef Michael Hayden glaubt, dass ein ähnlicher Erfolg erreichbar sein wird. "Jeder Deal wird auf die eine oder andere Art und Weise den nuklearen Status akzeptieren müssen." Robert Litwak, führender Abrüstungsexperte in den Clinton-Jahren, sagt: "Null ist keine Option mehr." Ziel müsse es sein, das nordkoreanische Programm einzufrieren.

Die Nuklearwaffe ist bis heute eine harte Währung in den internationalen Beziehungen

Manches spricht dafür, dass dies auch das Ziel Nordkoreas ist. Ein Ende der Sanktionen, als Atommacht anerkannt und respektiert zu werden. So wie zuvor schon China, Indien, Israel oder Pakistan. Schließlich erkannte die Kim-Clique die Bedeutung der Bombe für den Machterhalt schon mit oder sogar vor diesen Staaten. 1956, drei Jahre nach dem Ende des Koreakrieges, gingen bereits die ersten Nordkoreaner zum Studium der Atomphysik nach Moskau. Vermutlich nicht einmal wenn es einen Friedensvertrag zwischen den USA und Nordkorea gäbe, würde Kim auf alle Bomben verzichten. Nordkoreanische Überläufer berichteten, wie sehr die Staatsführung davon überzeugt ist, dass nur die Bombe ihr Überleben sichert. Leider ist das nicht einmal falsch.

Beispiel A: Der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi gab sein Bombenprogramm 2003 auf, wurde später (mit Hilfe des Westens) gestürzt und exekutiert. Beispiel B: Die Ukraine verzichtete nach dem Zerfall der Sowjetunion auf Atomwaffen, Russland, die USA und andere Staaten garantierten die territoriale Integrität. Mancher in Kiew sagt heute: Hätten wir die Bombe behalten, hätten wir auch noch die Krim. Die Nuklearwaffe ist bis heute eine harte Währung in den internationalen Beziehungen.

Nordkorea als zähneknirschend akzeptierte neunte Atommacht der Erde wäre eine schlechte Nachricht. Und sie käme in schlechten Zeiten: Amerika und Russland modernisieren ihre Arsenale, der INF-Vertrag, der Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa verbietet, ist gefährdet. In den USA scheint Trump nach Wegen zu suchen, ausgerechnet das Iran-Abkommen zu Fall zu bringen. Aufrüstung statt Abrüstung steht auf der Tagesordnung.

Seit der Erfindung der Atombombe war die Menschheit umsichtiger im Umgang mit dieser tödlichen Gefahr, als man es hoffen durfte. Viele Befürchtungen erwiesen sich als übertrieben, 1958 sagten die US-Geheimdienste voraus, dass auch die Schweiz, Italien, Kanada und West- und Ostdeutschland zu Atommächten werden könnten. Auch die Bombe in den Händen von Terroristen, ein seit mehr als einem Jahrzehnt verbreitetes Szenario, hat es glücklicherweise nicht gegeben.

Was geschieht, wenn Nordkorea davonkommt? Folgen weitere Staaten? Verkauft das Land weiter seine Waffen? In Nordkorea, wo der Kalte Krieg nie zu Ende ging, steht viel auf dem Spiel.

© SZ vom 09.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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