Niger:Viele Soldaten, wenig Kontrolle

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Ein Polizist verspricht in den Straßen der Stadt Diffa im Süden Nigers etwas Sicherheit. Die Bevölkerung lebt in ständiger Angst vor Überfällen. (Foto: Issouf Sanogo/AFP)

Bewaffnete sollen mehr als 100 Menschen in der Region Tillabéri getötet haben. Das Land ist stark militarisiert, doch die Regierung kann die fernen Provinzen kaum kontrollieren. Manche Menschen suchen Schutz und ein Einkommen bei den Islamisten.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Das neue Jahr hatte gerade begonnen, als sich Präsident Mahamadou Issoufou im Radio an die Bürger von Niger wandte. Schwierig sei es 2020 gewesen, sagte der scheidende Präsident, das kommende Jahr werde sicher besser, man stehe kurz davor, "eine erfolgreiche Seite in der demokratischen Geschichte unseres Landes umzublättern", sagte Issoufou.

Nimmt man es ganz genau, befindet man sich noch in einem der vorderen Kapitel. Seit 1960 ist Niger unabhängig, einen friedlichen demokratischen Machtwechsel hat es bisher noch nicht erlebt, dafür aber viele Militärputsche. Issoufou war bei der Wahl am 27. Dezember nicht mehr angetreten, hatte nach zwei Amtszeiten verzichtet, so wie es die Verfassung vorschreibt. Ende Februar soll im zweiten Wahlgang der neue Präsident gewählt werden. Es klang nach einem guten Ausblick auf das neue Jahr, das man "erhobenen Hauptes" begrüßen werde, sagte der Präsident mit der Vorliebe für etwas schiefe Bilder.

Wenig später war das neue Jahr schon wieder so düster wie das, das gerade eben erst geendet hatte. Mehr als 100 Menschen sollen am Samstag bei Angriffen von Bewaffneten in der Region Tillabéri im Nordwesten des Landes getötet worden sein. Es ist eine der tödlichsten Attacken in Niger, einem Land, das seit Jahren vom Terror heimgesucht wird. Mehrere Dutzend Angreifer auf Motorrädern sollen sich zwei Dörfern genähert haben und auf Männer und Jungen geschossen haben.

Bekannt hat sich bisher niemand zu dem Angriff, in der Region ist aber der "Islamische Staat der Größeren Sahara" (ISGS) aktiv, der weite Gebiete kontrolliert. Überlebende sprachen davon, dass ihre Dörfer von "Banditen" angegriffen worden seien. So nennt man in der Region gewöhnliche Räuber, aber auch die Islamisten des "Islamischen Staates", wobei die Übergänge fließend sind. Bei der Tat vom Sonntag soll es sich um einen Racheakt handeln, die Dorfbewohner hatten sich in den vergangenen Monaten offenbar gegen Schutzgelderpresser gewehrt und zwei von ihnen getötet.

Die Bevölkerung wächst, die Ressourcen werden knapper

Niger ist nach einer Rangliste der UN das am wenigsten entwickelte Land der Welt und hat gleichzeitig eine der höchsten Geburtenraten, etwa sieben Kinder bekommt eine Frau im Durchschnitt. Die stark wachsende Bevölkerung konkurriert um die immer knapper werdenden Ressourcen: Nomaden und ihre Viehherden fühlen sich von sesshaften Bauern verdrängt, die Weideland zum Ackerbau beanspruchen. Die Konflikte finden in Regionen statt, in denen die Ethnie oder Großfamilie der Bezugspunkt sind, nicht der Staat und die Regierung in der fernen Hauptstadt Niamey.

In den vergangenen Jahren haben verschiedene Terrorgruppen versucht, sich das Machtvakuum zunutze zu machen und in Niger um Sympathisanten geworben, aus Nigeria kam Boko Haram, aus Mali der IS und von Norden al-Qaida. Überzeugungstäter sind die wenigsten der neuen Rekruten, man schließt sich den Islamisten an, weil sie einen Sold bezahlen oder Schutz bieten vor Viehdieben, einem verfeindeten Nachbarstamm oder der Armee.

Kaum ein Land in Westafrika hat sich in den vergangenen Jahren so militarisiert wie Niger. Das Land hat das Kommando in der regionalen Antiterrorgruppe der C5-Staaten, es beherbergt Spezialkräfte aus Frankreich, USA und Deutschland, für die sich hier zwei Hauptinteressen kreuzen, der Kampf gegen den islamistischen Terror und der gegen die Migration. Milliarden Euro wurden seit 2016 in das kleine Land gepumpt, oft direkt in den Haushalt, ohne ausreichende Kontrollmechanismen.

Migranten sind eine Einnahmequelle

Im Gegenzug hat Niger die Migrationsroute über die Stadt Agadez weiter durch die Sahara nach Libyen so gut wie geschlossen. Aus Sicht Europas ein Erfolg, der in Niger selbst aber zu viel Protest geführt hat. Das Land selbst stellt kaum Migranten, die Fluchtrouten waren aber ein Wirtschaftsfaktor, die Flüchtlinge fuhren in Bussen, schliefen in kleinen Hotels und aßen bei Straßenhändlern, und schließlich zahlten sie viel Geld, um mit Geländewagen durch die Wüste zu kommen.

Der Kampf gegen die Islamisten gestaltet sich schwieriger. Mal setzt der Staat auf Dialog und versucht, Islamisten in die regulären Sicherheitskräfte einzugliedern und friedliche Mechanismen zur Konfliktlösung zu schaffen. Zuletzt hat sich die Regierung - auch aufgrund des Drucks von Frankreich - wieder verstärkt auf militärische Lösungen konzentriert. Die Zahl der Soldaten hat sich in den vergangenen zehn Jahren in etwa verdoppelt und soll weiter wachsen. "Ein exzessiver Fokus auf den Anti-Terrorkampf hat in Tillabéri wie in der gesamten Sahelzone zu einer Übernutzung militärischer Mittel für einen Konflikt geführt, der seine Ursachen in einer Konkurrenz der Gesellschaften um Ressourcen hat", schreibt die Denkfabrik International Crisis Group.

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