Niger:Tödlicher Anschlag im Giraffenreservat

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Mit einem Flammenwerfer sollen die Angreifer auf das Auto ihrer Opfer gezielt haben. (Foto: Boureima Hama/AFP)

Sechs Franzosen und zwei Einheimische sterben. Als Täter werden islamistische Terroristen vermutet.

Von Anna Reuß, München

Wie so oft in der Sahelregion, einem kargen Streifen Land, der sich von Senegal über Niger bis Tschad quer über den afrikanischen Kontinent erstreckt, kamen die Angreifer auf Motorrädern. Schwer bewaffnet warteten sie auf ihre Opfer: eine Gruppe französischer Entwicklungshelfer und ihre beiden nigrischen Begleiter, die auf dem Weg zu einem Giraffenreservat waren. Was dann passierte, werden die Behörden in Niger in den kommenden Tagen erst noch genau rekonstruieren müssen. Bekannt ist bislang, dass bewaffnete Männer nahe der Gemeinde Kouré in der Region Tillabéri im Westen Nigers das Fahrzeug der Gruppe abpassten und die acht Menschen töteten. Bereits wenige Stunden später verbreiteten sich in sozialen Netzwerken Bilder von den verstümmelten Leichen - und dazu der Aufruf, die erschreckenden Aufnahmen nicht weiter zu teilen, aus Rücksicht auf die Opfer und ihre Familien.

Laut Gouverneur Ibrahim Katiela waren die Toten Mitarbeiter von Acted, einer französischen Hilfsorganisation. Besonders am Wochenende ist das Reservat eine beliebte Touristenattraktion. Dort leben die letzten Herden westafrikanischer Giraffen, ungefähr 600 Tiere. Am Sonntag um zehn Uhr morgens hatte die Gruppe einen Kontrollpunkt Richtung Dosso, einer Stadt 140 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Niamey, passiert. Rund eine Stunde später waren die zwei Nigrer und die sechs Franzosen tot. Ein Augenzeuge, der selbst Touristen durch das Giraffenreservat führt, sagte der New York Times, die Angreifer hätten ihre Opfer erschossen. Zudem hätten sie mit Flammenwerfern auf das Auto gezielt. Verschiedenen Berichten zufolge wurden die Leichen im Dreck zurückgelassen.

Erst vor wenigen Monaten hatten Bewaffnete mehrere Dörfer in der Region überfallen

Die französische NGO ist seit mehreren Jahren in Tillabéri und anderen Regionen Nigers präsent. Sie stellt den Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen für Binnenvertriebene sicher, die vor islamistischen Terroristen fliehen mussten. Zuletzt verteilten die Mitarbeiter der Organisation Schutzmasken und Seife an die Menschen, um die Ausbreitung von Covid-19 zu bekämpfen.

Es ist der erste Angriff gegen westliche Reisende im Gebiet um Kouré, das wegen des Giraffenreservats bei Ausländern bekannt ist. Dieser Landesteil Nigers und die Region Tillabéri gelten jedoch als zunehmend instabil: Wie auch in anderen Teilen der Sahelzone terrorisieren Islamisten dort die Zivilbevölkerung. Erst vor wenigen Monaten hatten Bewaffnete in Tillabéri mehrere Dörfer überfallen, mindestens 20 Menschen getötet und Geschäfte geplündert.

Die Region ist Teil des Grenzgebiets zwischen Niger, Burkina Faso und Mali, einem Stützpunkt der Terroristen, die sich dem Dschihad, dem selbst ernannten Glaubenskrieg, verschrieben haben. Das Grenzgebiet gilt als Epizentrum des Sahelkonflikts. Dürren infolge des Klimawandels und Spannungen unter den Volksgruppen machen es den Dschihadisten dort leicht, neue Anhänger zu rekrutieren.

Der französische Präsident Emmanuel Macron bekannte sich einmal mehr zu Frankreichs Rolle im Kampf gegen den Terrorismus im Sahel und versprach, alles zu tun, um die Hintergründe des Vorfalls aufzuklären. Der Elyséepalast sprach in einer Mitteilung von einem "mörderischen Anschlag", Nigers Innenminister Elkache Alada nannte ihn einen "Terrorakt". Frankreich unterstützt mehrere Sahelstaaten, darunter Niger, im Kampf gegen die Terroristen, die sich dort seit dem Bürgerkrieg im nordafrikanischen Libyen ausbreiten.

In der Sahelregion herrschen seit Jahren Chaos und Gewalt. Als 2011 das Regime in Libyen kollabierte, blieb Mali nicht unberührt. 2012 eroberte eine Koalition aus Rebellen, radikalen Islamisten und Tuareg-Separatisten den Norden des Landes. Von Mali aus konnten sich die bewaffneten Gruppen erfolgreich in die Nachbarländer ausbreiten: Staaten wie Burkina Faso erlebten in den vergangenen vier Jahren einen regelrechten Zerfall. Die Zahl der Menschen, die im Zuge des Konflikts starben, ist heute um ein Vielfaches höher als noch zu Beginn der Aufstände. Und das, obwohl mehrere Tausend ausländische Soldaten die lokalen Streitkräfte unterstützen - darunter auch die Bundeswehr.

Hinter den Angriffen auf Zivilisten stehen häufig Ableger des selbsternannten "Islamischen Staates" (IS) und der al-Qaida nahestehenden Gruppe Jamaat Nusrat al-Islam wal-Muslimin. Die Terroristen wollen staatliche Autorität zerstören. Niger ist Mitglied der G 5-Sahelzone, einer regionalen Militärinitiative, zu der außerdem Mali, Mauretanien, Tschad und Burkina Faso gehören. Sie wurde 2014 gegründet, um mit al-Qaida und dem IS verbundene dschihadistische Gruppen zurückzudrängen. Allerdings sind die lokalen Streitkräfte mit dieser Aufgabe überfordert.

Niger war in den vergangenen Monaten immer wieder Ziel von Anschlägen geworden. Im Dezember 2019 hatten Bewaffnete 71 Soldaten auf einem Stützpunkt der Armee getötet. Der Anschlag war bereits damals ein Anzeichen dafür, dass die Terroristen trotz ausländischer Militärpräsenz in der gesamten Sahelregion schnell an Boden gewinnen. Nach dem gezielten Anschlag auf ein populäres Touristenziel am Wochenende besteht daran nun kein Zweifel mehr.

© SZ vom 11.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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