Niedersachsen:Therapie mit Flucht

Lesezeit: 1 min

Cornelia Rundt (SPD), Sozialministerin in Niedersachsen, will die Unterbringung von schwer kranken Straftätern im Maßregelvollzug überprüfen lassen. (Foto: Holger Hollemann/dpa)

Ein Messerstecher und ein Mörder sind entwichen. Nun will die Sozialministerin überprüfen, wie Patienten im Maßregelvollzug sicherer unterzubringen sind.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Das Land Niedersachsen will den Maßregelvollzug reformieren. Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) reagiert damit auf zwei spektakuläre Fälle, in denen sich verurteilte Straftäter aus dem Maßregelvollzug entfernt hatten. Schon vor zwei Wochen hatte ein 36-Jähriger einen Therapie-Besuch in Wunstorf genutzt, um sich abzusetzen. Ehe die Polizei ihn in Gewahrsam nahm, verletzte er bei einem Einbruch eine 73 Jahre alte Frau mit einem Messer. Am Dienstag ist der nächste Täter entwichen: Der wegen Mordes verurteilte Auke Karl Falke, 39, ist seit einem Therapie-Termin in Northeim auf der Flucht. Die Polizei fahndet weiter nach dem 1,76 Meter großen und 77 Kilo schweren Mann, der eine Glatze hat und auffällig tätowiert ist.

In den Maßregelvollzug gelangen Straftäter, die wegen einer psychischen Erkrankung oder Drogenabhängigkeit nicht voll oder gar nicht schuldfähig sind. Diese Menschen gelten als Patienten, sie sind in gesicherten Kliniken untergebracht, nicht in Gefängnissen. Und weil ihnen nach dem Gesetz bestimmte Lockerungen zustehen, kommt es im Maßregelvollzug häufiger als im Justizvollzug vor, dass Straftäter entweichen. In Niedersachsen ist das in diesem Jahr laut Sozialministerium bisher dreimal passiert; 2015 gab es 15 entsprechende Fälle, im Jahr zuvor 16 und 2013 sogar 33.

Längst hat die Opposition im rot-grün regierten Niedersachsen ihre Kritik vorgebracht. Der CDU-Abgeordnete Reinhold Hilbers sagte: "Der Maßregelvollzug benötigt strengere Maßstäbe bei den Gutachten der Vollzugslockerung." Tatsächlich will Sozialministerin Cornelia Rundt die Lockerungen für Patienten im Maßregelvollzug künftig genauer prüfen. Sie hat deshalb verfügt, dass richterliche Beschlüsse zu Fragen des Maßregelvollzugs künftig ihrem Ministerium zu melden sind. Der Messerstecher von Wunstorf befand sich zum Beispiel noch im Maßregelvollzug, obwohl er möglicherweise ins Gefängnis gehört hätte.

Welchem Patienten kann man eine Lockerung zugestehen, welchem nicht? Die Frage ist schwierig, und Ministerin Rundt will erreichen, dass es dabei künftig zu weniger Fehlentscheidungen kommt. Eine zentrale Prüfstelle soll den zehn niedersächsischen Maßregelvollzugs-Einrichtungen deshalb einen fundierten juristischen Sachbeistand bieten. Außerdem soll eine externe Forschungseinrichtung erkunden, wie man das Lockerungssystem verbessern könnte. Konkrete Ansatzpunkte hat Niedersachsens Sozialministerium dabei noch nicht im Blick. Ein Sprecher sagte: "Man geht das ergebnisoffen an."

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: