Neues Steuerkonzept:Was kann Kirchhof?

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Bei seinem Vorschlag für ein neues Steuerkonzept hält sich Paul Kirchhof nicht mit einem Reförmchen auf, wie es derzeit die Koalition diskutiert. Seinen Gesetzentwurf vergleicht er mit der Deklaration der Menschenrechte im Jahr 1789. Vorsicht ist geboten - dennoch sollte sich die Politik mit seinem Vorschlag befassen.

Claus Hulverscheidt

Immer dann, wenn ein vermeintlicher Erlöser die Weltbühne betritt, ist Skepsis die erste Bürgerpflicht. Das gilt auch, wenn der Heilsbringer Paul Kirchhof heißt. Seit Jahrzehnten kämpft der Doyen des deutschen Steuerrechts für seine Idee einer radikalen, allumfassenden Steuerreform. An diesem Montag nun hat er erstmals einen konkreten Gesetzentwurf vorgestellt, den er in der ihm eigenen Unbescheidenheit mit der Verkündung der Menschenrechte im Jahr 1789 vergleicht. Das sollte Beweis genug dafür sein, das Vorsicht geboten ist.

Kirchhofs Modell geht davon aus, dass das deutsche Steuerrecht nicht mehr reparabel ist. Schlimmer noch: dass es sich mit seiner Unübersichtlichkeit zu einer Gefahr für die Demokratie entwickelt hat, weil jeden Bürger die Sorge umtreibt, dass sich sein Nachbar beim Ausfüllen der Steuererklärung weit weniger dämlich anstellen könnte als er selbst. (Foto: Getty Images)

Kirchhofs Modell geht davon aus, dass das deutsche Steuerrecht nicht mehr verständlich, nicht mehr nachvollziehbar, nicht mehr gerecht, kurz: nicht mehr reparabel ist. Ja, schlimmer noch: dass es sich mit seiner Unübersichtlichkeit und der Unzahl an Ausnahmeregelungen zu einer Gefahr für die Demokratie entwickelt hat, weil jeden Bürger die Sorge umtreibt, dass sich sein Nachbar beim Ausfüllen der Steuererklärung weit weniger dämlich anstellen könnte als er selbst. Kirchhof hat sich vor diesem Hintergrund gar nicht erst mit einem Reförmchen aufgehalten, wie es derzeit die Koalition diskutiert. Er hat vielmehr die vielen Dutzend geltenden Gesetze mit ihren 33.000 unterschiedlichen Paragraphen in die Mülltonne geworfen und ein "Bundessteuergesetzbuch" entworfen, das mit nur noch 146 Artikeln auskommt. Allein dafür gebührt ihm Respekt.

Das Konzept funktioniert nach dem Motto: Weg mit allen Ausnahmen, dafür runter mit den Steuersätzen. Am Ende steht ein Einheitssatz von 25 Prozent bei der Einkommen-, 19 Prozent bei der Umsatz- und zehn Prozent bei der Erbschaftsteuer. Das klingt verlockend einfach - aber ist es auch gerecht? Und stimmt die zugrundeliegende Analyse des ehemaligen Verfassungsrichters überhaupt?

Kirchhofs These, dass in Deutschland der ehrliche Steuerzahler der dumme ist, werden sicher viele Bürger teilen. Die verfügbaren Statistiken zur Steuermoral geben allerdings keinen Hinweis darauf, dass die Behauptung auch richtig ist. Vielmehr ist das Recht vor allem deshalb so kompliziert, weil es versucht, die Lebenswirklichkeit der Menschen abzubilden: Wer einen weiten Weg zur Arbeit fährt, wird dank Pendlerpauschale anders behandelt als jemand, der gleich neben dem Büro wohnt. Und wer nachts oder sonntags arbeitet, erhält für sein Engagement ebenfalls einen Steuerbonus. Selbstverständlich kann man der Meinung sein, dass das Steuerrecht der falsche Ort für ein solches staatliches Belohnungssystem ist. Wer das aber alles abschaffen will, muss das offen sagen und sein Tun nicht mit dem Deckmäntelchen der Steuervereinfachung verschleiern.

Das gilt umso mehr, als Kirchhofs Modell Fragen aufwirft. So muss geklärt werden, ob bei ihm nicht ausgerechnet Geringverdiener mehr zahlen müssten, etwa eine Krankenschwester mit Nachtdienst, längerem Anfahrtsweg und ohne Aussicht auf eine große Erbschaft. Auch dass Lohnempfänger 25 Prozent Steuern auf ihr Arbeitseinkommen zahlen, Aktionäre ihre Dividenden aber steuerfrei kassieren sollen, lässt sich zwar steuersystematisch begründen, aber kaum politisch. Und schließlich bleibt die Grundsatzfrage, ob es wirklich gerechter ist, wenn alle Bürger den gleichen Steuersatz zahlen.

Trotz all dieser Einwände haben es sowohl Kirchhofs Konzept als auch der Autor selbst verdient, dass sich die Politik mit ihnen befasst. Die jüngsten Bemühungen der Parteien in der Steuerpolitik sind derart erbärmlich, dass eine Grundsatzdiskussion geradezu geboten ist. Kirchhofs Konzept ist dafür der richtige Anlass, denn er gehört - bei allem, was man ihm vorwerfen mag - zu den wenigen wirklich Sachkundigen im Land. Statt also in das übliche Abwehrgeplapper zu verfallen, sollten Regierung wie Opposition das Modell intensiv prüfen - mit der gebotenen Vorsicht, aber auch mit Wohlwollen, Unvoreingenommenheit und Neugier.

© SZ vom 28.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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