Neue Ausdrücke:Vom Untergang des Meuchelpuffers

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Illustration: Jessy Asmus (Foto: N/A)

Ins Deutsche wurden immer reihenweise fremde Wörter integriert, und stets gab es Versuche, etwas dagegen zu tun. Sie blieben erfolglos.

Von Martin Zips

Es gibt einen Witz, der geht so: Ein Mann im Anzug fragt am Münchner Stachus zwei Bauarbeiter, wo es denn hier zum Hauptbahnhof gehe. Er bekommt keine Antwort. Also stellt er seine Frage noch einmal auf Englisch, dann auf Französisch, dann auf Italienisch. Wieder nichts. Als der Mann schließlich entnervt weitergeht, kommt es zwischen den Arbeitern zu folgendem Dialog: "Der konn vui Sprachn." "Und? Wos huifts eahm?"

Sprache ist Macht. Nur wer verstanden wird, kommt weiter. Und: Sprache ist Abgrenzung. Manchmal ist sie auch: Ausgrenzung.

Beispiel Beruf. "Slacken", "Pitchen", "Snipping Tool", "Thread", "Meeting", "Talk", "Committen", "Teasern", "Performen" - in den vergangenen 30, 40 Jahren seien die sprachlichen Anforderungen stark gestiegen, meint Henning Lobin, Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache. Aber natürlich: "Fachsprache ist wichtig, schließlich geht es um eindeutige Ausdrucksweisen in verschiedensten Kanälen." Was aber tun, wenn der Mitarbeiter irgendwann gar nichts mehr versteht?

Mehr als 14 Prozent der Erwachsenen sind praktisch Analphabeten

"Mehr als 14 Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind funktionale Analphabeten", heißt es im Werbetext einer Berliner Kommunikationsagentur. "Sie können zusammenhängende Texte nicht lesen und verstehen." Die Lösung: "Wir helfen Ihnen, verständliche Sprache in Ihrem Unternehmen zu verankern." Ach, wenn das nur so einfach wäre.

Für Jugendliche ist die Schaffung eigener Ausdrücke ("Ey Alter, ich feier deine Jacke") Teil des Abnabelungsprozesses. Durch Abkürzungen ("Af", "LOL") sparen Teenager wertvolle Artikulationsenergie. Im Erwachsenenalter allerdings, so erscheint es, dient die Schaffung immer neuer Sprachsysteme ("Wenn der CEO keine Guidance gibt, ist die Equity Story hinüber") eher der Profilierung Einzelner. Wollen die vielleicht gar nicht mehr verstanden werden?

Durch Worte imponieren - das Prinzip dahinter hat Albert Einstein einmal gut beschrieben: "Die meisten Menschen haben einen heiligen Respekt vor Worten, die sie nicht begreifen können, und betrachten es als Zeichen der Oberflächlichkeit eines Autors, wenn sie ihn begreifen können."

Der Düsseldorfer Sprachwissenschaftler Rudi Keller beruhigt: "Vor ständig neuen Ausdrücken muss man keine Angst haben." Die lerne man halt - und vergesse sie bald wieder. "Wörter kommen und gehen." Keller rät, den aktuellen Duden einmal mit der Erstausgabe zu vergleichen. "Allein beim Buchstaben A tauchen 170 Wörter von damals gar nicht mehr auf." Und wer beim Vokabel-Feuerwerk selbsternannter Eliten nicht mehr mitkomme, der solle sich nur keine Sorgen machen. "Denken Sie an das schöne Wort Wimperg. Ich wette, davon haben nur wenige in Ihrem Umfeld einmal gehört. Damit können auch Sie beeindrucken!" (Wimperg ist ein gotischer Tür-Ziergiebel.)

Ungemütlich wird's, wenn sich die (ebenfalls meist selbsternannte) Sprachpolizei einschaltet. Sie achtet vor allem auf politische Korrektheit. Eigentlich ganz im Sinne von Karl Kraus, laut dem Sprache "die Mutter, nicht die Magd des Gedankens" sei. Freilich, auch eine Mutter kann nerven. Doch der Direktor des Leibniz-Instituts, Henning Lobin, meint: "Es ist doch grundsätzlich gut, sich darüber Gedanken zu machen, wie man sprachlich höflich miteinander umgeht. Beleidigende und herabwürdigende Arten, jemanden zu bezeichnen, gibt es doch mehr als genug."

Und so hielt ein Schweizer Versicherungskonzern denn auch kürzlich seine Mitarbeiter dazu an, in Mails und auf Konferenzen künftig nicht mehr Begriffe wie "Ehemann", "Ehefrau", "Bruder", "Schwester" oder "Heirat" zu verwenden. Denn diese seien "ausgrenzend" (was einige Eheleute als ziemlich ausgrenzend empfanden). Die Berliner "Fachstelle Kinderwelten für vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung" wiederum forderte zum Fasching "kultursensible" und "diskriminierungsfreie" Kostüme. Die Kinder, so der Vorschlag, sollten als "Piratin" oder "Meerjungmann" gehen.

In Frankreich wurden die Wörter "Vater"und "Mutter" aus Formularen gestrichen

In England hingegen dürfen "Erstsemester" an den Universitäten nicht mehr als "Freshmen" bezeichnet werden, das klingt offenbar zu sehr nach Fleischbeschau. Künftig sollen sie "First year students" heißen. Und in Frankreich wurden auf amtlichen Formularen die Wörter "Mutter" und "Vater" gestrichen. Es heißt nun "Elternteil 1" und "Elternteil 2". Trotzdem sind nicht alle zufrieden: Wenn das so weitergehe, empörte sich die Neue Zürcher Zeitung neulich, so dürfe man selbst die "Frauenklinik" bald nicht mehr "Frauenklinik" nennen. Schließlich könnten längst auch Männer Kinder austragen.

Und für seine Idee, bei der Stadtverwaltung Hannover den Sprachgebrauch zu "gendern" und geschlechtergerecht statt vom "Rednerpult" nur noch vom "Redepult" zu sprechen, wurde der ehemalige Oberbürgermeister Stefan Schostok vom Verein Deutsche Sprache zum "Sprachpanscher des Jahres 2019" gekürt.

"Sich mit der Sprachpolizei herumzuschlagen", bekannte kürzlich der US-amerikanische Schriftsteller Bret Easton Ellis ("American Psycho"), "das ist ein harter Brocken, wenn man kreativ tätig ist." Da kann es einem schnell so ergehen wie Professor Silk in Philip Roths Roman "Der menschliche Makel". Der hatte zwei in seinem Seminar nie anwesende, ihm völlig unbekannte Studentinnen scherzhaft als "spooks" (in der deutschen Übersetzung: "dunkle Gestalten") bezeichnet. Man legte ihm das als Rassismus aus. Silk musste seinen Hut nehmen.

"Nur keine Panik", meint Linguist Rudi Keller. "Sprachpolizisten haben langfristig noch nie Erfolg gehabt." Ihre Kritik sei meist nichts anderes als eine "völlig aussichtslose, temporäre Marotte". So gab es bereits im 18. Jahrhundert Versuche, französische Ausdrücke aus der deutschen Sprache per Deklaration zu eliminieren. Sie scheiterten. Die Wörter überlebten in friedlicher Koexistenz. Neben dem "Abstand" gibt es bis heute auch die "Distanz", neben dem Schriftsteller den "Autor" und neben dem Schauspieler den "Akteur". Nur "Meuchelpuffer" für "Pistole", das hat sich am Ende doch nicht durchgesetzt. Sprache, meint Keller, sei eben ein durch und durch anarchisches System: willentliche Beeinflussung ausgeschlossen. "Versuchen Sie mal einen Automechaniker davon zu überzeugen, statt Airbag künftig nur noch das deutsche Wort ,Prellsack' zu verwenden. Das funktioniert nicht."

Ein irakischer Autor freut sich über Ausdrücke wie "Kummerspeck"

Letztlich bleibt es vor allem eine Sache des guten Willens, ob man sich überhaupt verstehen möchte. So schreibt der gebürtige Iraker Abbas Khider in seinem Buch "Deutsch für alle": Für so wunderbare Ausdrücke wie "Warmduscher" oder "Kummerspeck" nehme er als Zuwanderer jederzeit auch Buchstabenmonster wie "Nahrungsmittelunverträglichkeit" in Kauf. Ein guter Ansatz!

Flexibilität schadet eben nie: Als Martin Luther merkte, dass er mit Sächsisch beim Zürcher Huldrych Zwingli nicht mehr weiterkam, verfasste er seine Briefe eben auf Latein. Heute fragen sich viele Firmenmitarbeiter, was damit gemeint sein könnte, wenn der Chef sagt: "Wir müssen mehr Romance und Theater in unsere Retail Experience kriegen." Oder: "Ich brauch' den Müller für den HR-Event, der soll die High Potentials sweettalken." Ist das noch Sächsisch? Oder schon Latein?

Neben Sprache, das wusste schon Cicero, ist eben auch immer Vernunft das Band der Gesellschaft. Und die Vernunft sollte zur allgemeinen Verständlichkeit raten. Sonst heißt es bald nur noch: "Der konn vui Sprachn." "Und? Wos huifts eahm?" Und das hilft doch wirklich keinem weiter.

© SZ vom 07.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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