Netzpolitik.org:Rollenwechsel

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Gegen sie wird ermittelt: Markus Beckedahl und Andre Meister (links) vom Blog Netzpolitik.org. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Der Blogger Markus Beckedahl nutzt die Gunst der Stunde: Er fragt in der Bundespressekonferenz die Sprecher der Ministerien über die Landesverrats-Ermittlungen gegen ihn aus.

Von Robert Roßmann, Berlin

Die Bundespressekonferenz ist 65 Jahre alt. Eine Institution. Aber so etwas dürfte sie in ihrer langen Geschichte noch nie erlebt haben. Normalerweise befragen in der "BPK" Hauptstadt-Journalisten die Sprecher der Ministerien und des Kanzleramts. Dabei geht es um alles, was gerade auf der Agenda steht - aber niemals um persönliche Angelegenheiten der Reporter. So war es zumindest bis zu diesem Montag.

Die BPK lief bereits seit einer halben Stunde, es war kurz nach zwölf, da meldete sich Markus Beckedahl zu Wort. Gegen den Gründer des Blogs Netzpolitik.org ermittelt der Generalbundesanwalt wegen Landesverrats. Zumindest mittelbar, durch Unterlassen, sind dafür auch das Innen- und das Justizministerium verantwortlich. Das eine Haus hat die Fachaufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz, welches das Verfahren ins Rollen brachte. Das andere Ressort ist gegenüber dem Generalbundesanwalt weisungsbefugt. Insofern saß Beckedahl an diesem Montag zwei Gegnern gegenüber. Weil er aber auch Mitglied der Bundespressekonferenz ist, kam der Blogger in den Genuss, seine Gegner ausfragen zu können, als ob er selbst der Ankläger wäre.

Das Kanzleramt sagt, es wisse "eine ganze Menge", aber nicht alles

Und so wollte Beckedahl wissen, ob gegen ihn und seinen Netzpolitik-Kollegen bereits Überwachungsmaßnahmen in Gang gesetzt worden seien. Das könne er mangels Kenntnis nicht ausschließen, antwortete der Sprecher des Innenministeriums. Vom Vertreter des Justizministers wollte der Blogger deshalb erfahren, ob eine Überwachung "rein rechtlich" beim jetzigen Verfahrensstand überhaupt schon zulässig wäre. Der Sprecher von Heiko Maas drückte sich um eine eigene Antwort. Er verwies aber auf eine Erklärung des Generalbundesanwalts, wonach "keine Maßnahmen" gegen die Journalisten ergriffen werden sollen. Beckedahl stellte noch ein, zwei andere Fragen - dann überließ er die Ministeriumssprecher wieder seinen Kollegen.

Die Bundespressekonferenz war am Montag aber auch unabhängig von Beckedahls Auftritt eine erstaunliche Veranstaltung. Normalerweise treten die Sprecher dort mit einigem Selbstbewusstsein auf. Viele von ihnen fühlen sich nicht jede Woche bemüßigt, mit Auskunftsfreude um die Gunst der Journalisten zu buhlen. Doch diesmal bemühten sich die Sprecher beinahe devot um das Verständnis der Reporter. Dabei setzten sie sich erstaunlich deutlich von Generalbundesanwalt Harald Range ab. Der Frage, ob Range noch das Vertrauen der Kanzlerin genieße, wich deren Sprecherin aus. Sie sprach stattdessen von der Bedeutung der Pressefreiheit und verwies ansonsten lapidar auf die Ressortzuständigkeit des Justizministeriums. Auch dessen Sprecher sah sich nicht bemüßigt, den Generalbundesanwalt in Schutz zu nehmen. Er erklärte auf die Frage nach dem Vertrauen in Range lediglich, diese stelle sich nicht.

Maas hatte bereits am Freitag auf Vorwärtsverteidigung gesetzt und sich von Range abgesetzt. Er habe dem Generalbundesanwalt mitgeteilt, dass er "Zweifel daran habe, ob die Journalisten mit ihrer Veröffentlichung die Absicht verfolgt haben, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen", sagte Maas. Außerdem habe er Range mitgeteilt, dass er bezweifle, dass es sich "bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt, dessen Veröffentlichung die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt". Die beiden Sachverhalte, die Maas bezweifelt, sind aber Voraussetzung für eine Verurteilung wegen Landesverrats.

Am Montag schlossen sich Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière dieser Einschätzung an. Die Kanzlerin billige die Haltung von Maas zu den Ermittlungen "ausdrücklich", sagte Vizeregierungssprecherin Christiane Wirtz. Maas habe für sein Vorgehen "die volle Unterstützung" der Kanzlerin. De Maizière teile die Zweifel ebenfalls, sagte dessen Sprecher. Ansonsten waren die Sprecher vor allem bemüht, ihre Chefs reinzuwaschen. Das Innenministerium erklärte, es habe zwar von den Anzeigen von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen gewusst. Diese seien aber gegen unbekannt und nicht beim Generalbundesanwalt gestellt worden. Das Ministerium habe deshalb nicht erkennen können, dass aus den Anzeigen ein Landesverrats-Verfahren gegen Journalisten werde. Wirtz sagte, das Kanzleramt habe von diesen Ermittlungen erst aus den Medien erfahren. Das Kanzleramt wisse zwar "eine ganze Menge", aber nicht alles. Und der Maas-Sprecher erklärte, warum eine Weisung an den Generalbundesanwalt nicht angebracht gewesen sei.

Es blieb ein erstaunlicher Eindruck: Durch Anzeigen eines Bundesamts werden Ermittlungen wegen Landesverrats gegen Journalisten ausgelöst - und niemand in der gesamten Regierung will in der Lage gewesen sein, das Verfahren zu verhindern, obwohl es angeblich keiner haben wollte.

© SZ vom 04.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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