Neonazi-Netzwerk in Deutschland:Der Schoß ist fruchtbar noch

"Aus allen Wolken ihrer Ahnungslosigkeit" sei die Deutschland gefallen, stellte der Publizist Ralph Giordano kürzlich angesichts der aufgedeckten Neonazi-Terrorserie fest. Was wäre gewesen, wenn es sich bei den Opfern nicht um kleine Leute mit Migrationshintergrund gehandelt hätte, sondern um hochkarätige Vertreter aus Politik und Wirtschaft?

Heribert Prantl

Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch: Seit fünfzig Jahren kennen die Deutschen diesen Satz von Bertolt Brecht. Er steht im Epilog des Theaterstücks "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui", das die Hitlerei und den Nazismus in die Gangsterwelt transferiert.

Ein Rechtsextremer während einer Neonazi-Kundgebung in München (Archivbild): Seit immer mehr Details zu den jüngsten Neonazi-Morden bekannt werden, herrscht bei den Sicherheitsbehörden Fahndungsdruck. (Foto: dapd)

Seit der Aufdeckung der zehn Neonazi-Morde und seitdem fast jeden Tag neue Erkenntnisse über ein braunes verbrecherisches Netzwerk bekannt werden - seitdem ist klar, dass dieser Brecht'sche Satz nicht nur Bedeutung hat für den Deutschunterricht an Gymnasien. Es ist dies ein Satz von kriminalistischer Wahrheit.

Es ist dies ein Satz, den auch der Haftrichter am Bundesgerichtshof unterschreiben kann. Der hat soeben wieder einen Unterstützer der braunen Mörderbande in Haft genommen. Der Publizist Ralph Giordano, ein einst von den Nazis verfolgter Hamburger Jude, hat unlängst auf der Jahrestagung des Bundeskriminalamts festgestellt, die Bundesrepublik sei "aus allen Wolken ihrer Ahnungslosigkeit gefallen".

Und er fügte fragend hinzu, was gewesen wäre, wenn die von den Neonazis Ermordeten nicht kleine Leute mit Migrationshintergrund gewesen wären, sondern stattdessen hochkarätige Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kirche oder Wissenschaft wie in den RAF-Mordzeiten?

Die Frage beantwortet sich von selbst. Natürlich wären die Sicherheitsbehörden dann nicht zehn Jahre lang blauäugig gewesen.

Der Fahndungsdruck, den sie jetzt, nachträglich - gleichermaßen zu Recht wie zu spät - entfalten, ist auch ein Ausdruck des schlechten Gewissens. Das schlechte Gewissen muss gutes Handeln zur Folge haben: Das braune Netzwerk muss bis in alle Verästelungen aufgedeckt und zerrissen werden.

© SZ vom 12.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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