Neckarwestheim nach Ausstiegsbeschluss:"Wir stehen im Regen"

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Der Ausstieg macht nicht alle glücklich: Atomkraftgegner in ganz Deutschland begrüßen den Beschluss der Regierung. Doch Menschen wie Mario Dürr sind nicht so begeistert von der Abschaltung. Dürr ist Bürgermeister der Gemeinde Neckarwestheim - und fühlt sich von Berlin alleingelassen.

Oliver Das Gupta

Mario Dürr ist Bürgermeister von Neckarwestheim nahe Heilbronn. Seit 1995 ist der Parteilose im Amt. Einen Kilometer von der schwäbischen Ortschaft entfernt befindet sich das Kernkraftwerk Neckarwestheim. Die Anlage wird vom Stromkonzern EnBW betrieben und besteht aus zwei Druckwasserreaktoren. Block 1 stammt aus dem Jahre 1976 und wurde im März 2011 abgeschaltet. Block 2 ist der jüngste deutsche Meiler und ging erst 1989 in Betrieb. Er soll nach den Plänen der schwarz-gelben Bundesregierung bis 2022 laufen.

Soll den schwarz-gelben Plänen zufolge 2022 abgeschaltet werden: Kernkraftwerk Neckarwestheim. (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Bürgermeister, sind Sie traurig, dass die Atomzeit in Neckarwestheim zu Ende geht?

Mario Dürr: Trauer ist das falsche Wort. Die Debatte um Ausstieg und Abschaltung gibt es ja nicht erst seit gestern. Diplomatisch formuliert: Ich finde es erstaunlich, wie beweglich die schwarz-gelbe Bundesregierung ist.

sueddeutsche.de: 2022 soll nun Block 2 des Atomkraftwerks Neckarwestheim abgeschaltet werden. Wie wirkt sich das auf Ihre Kommune aus?

Dürr: Klar ist: Die Gewerbesteuer wird massiv einbrechen, wir rechnen mit vier Millionen Euro weniger Einnahmen jährlich.

sueddeutsche.de: Das bedeutet: Die Atomkraft hat Neckarwestheim bislang wohlhabend gemacht.

Dürr: Im Vergleich zu anderen Kommunen sicherlich. Wir sind seit fast 20 Jahren schuldenfrei, Rücklagen haben wir in einer Größenordnung von 30 Millionen Euro. Unsere mittelfristige Finanzplanung werden wir nun ändern müssen. Sicherlich wird es nach dem Abschalten auch zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen. Etwa 800 Jobs würden verloren gehen. Vielleicht wird das zunächst durch den Rückbau der Anlagen etwas abgefedert.

sueddeutsche.de: Das sind große Auswirkungen einer Entscheidung, die im fernen Berlin getroffen werden. Fühlen Sie sich von der Politik alleingelassen?

Dürr: Wir stehen im Regen. Die Standorte kommen in den Überlegungen unserer lieben Kanzlerin faktisch nicht vor. Beim Stahl und der Kohle hätschelt der Bund seit jeher die betroffenen Regionen, bei uns und anderen vom Atomausstieg betroffenen Kommunen macht sich Frau Merkel offenbar keinerlei Sorgen, wobei die rot-grüne Vorgängerregierung nicht besser war. Kommunikation oder Information findet keine statt. Das ist ziemlich ärgerlich.

sueddeutsche.de: Fukushima ändert alles, sagt die Kanzlerin. Bei Ihnen offenbar nicht. Dabei gab es doch auch schon in Neckarwestheim Vorfälle.

Dürr: Sicher diskutieren wir Risiken der Kernenergie, die Katastrophe in Japan hat das noch verstärkt. Aber es ist nicht so, dass bei uns die Leute panisch in der Gegend herumrennen und den Ort verlassen. Das Kraftwerk steht eben schon seit 30 Jahren, das ist Normalität für uns.

sueddeutsche.de: Hand aufs Herz: Bereitet Ihnen denn der Meiler in der Nachbarschaft niemals Sorge?

Dürr: Wenn Handlungsbedarf bestand, habe ich in der Vergangenheit keinen Konflikt mit dem Betreiber gescheut, wir hatten beispielsweise eine heftige Auseinandersetzung, als es um die Errichtung eines Standort-Zwischenlagers ging. Aber ich behandle die EnBW auf der anderen Seite auch so, wie ich es bei jedem anderen Unternehmen mache: respektvoll und unvoreingenommen.

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Zuerst eine Verlängerung der Atomlaufzeiten, nach der Katastrophe von Fukushima dann die Kehrtwende: Wie namhafte Vertreter von CDU, CSU und FDP zunächst gegen den Atomausstieg wetterten - und nun das schnelle Abschalten der deutschen Meiler preisen.

sueddeutsche.de: Es gibt AKW-Standorte, wo sich Bürger und Kommunalpolitik seit Jahren gegen die Kernkraft stemmen. In Neckarwestheim ist das nicht so: Die Grünen sind nicht einmal im Gemeinderat vertreten.

Dürr: Bei der letzten Landtagswahl haben die Grünen zugelegt, aber es gibt für unseren Wahlkreis nach wie vor keinen Abgeordneten im Landtag. Unsere Bürger wissen eben: Wenn es ernste Sicherheitsbedenken gibt, dann ist abzuschalten. Diese Position vertreten der Gemeinderat und ich als Bürgermeister.

sueddeutsche.de: In der Vergangenheit gab es doch Vorfälle im AKW Neckarwestheim.

Dürr: Aber ernste Sicherheitsbedenken gab und gibt es in Neckarwestheim eben nicht. Sonst hätte zu Zeiten von Rot-Grün doch der damalige Umweltminister Jürgen Trittin sich wohl kaum die Chance nicht entgehen lassen, die Anlagen dichtzumachen.

sueddeutsche.de: Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung will den Atomausstieg, die Mehrheit der Neckarwestheimer offenbar nicht. Können Sie erklären, warum das so ist?

Dürr: Je weiter weg die Leute von einem Atomkraftwerk wohnen, desto vehementer wettern Sie gegen Kernenergie. Das mag kurios klingen, aber wir erleben dieses Phänomen immer wieder bei Demonstrationen: Die Angst wächst mit der Entfernung.

sueddeutsche.de: Stimmt Sie wenigstens die Aussicht froh, dass der dampfende Kühlturm verschwindet?

Dürr: Ich weiß nicht, ob "froh" der richtige Begriff ist, schließlich hängen verschiedene Aspekte damit zusammen. Einerseits endet das Restrisiko. Auf der anderen Seite verstehe ich gerade als Bürgermeister die Menschen, die bedrückt sind, weil sie ihre Arbeitsplätze verlieren werden.

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