Nato:Sehr viel zu erklären

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Donald Trumps Ansage, Truppen aus Deutschland abzuziehen, stellt die Verteidigungsminister-Konferenz vor eine Menge Fragen. Derweil will der Generalsekretär der Militärallianz dem US-Präsidenten beibringen, wie das Bündnis eigentlich funktioniert.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Wann und wo Donald Trump Soldaten aus Deutschland abziehen will, ist weiter unbekannt: Der US-Präsident 2018 auf dem Stützpunkt der amerikanischen Luftwaffe in Ramstein. (Foto: Shealah Craighead/dpa)

Jens Stoltenberg weiß, was kommen wird. Eigentlich will der Nato-Generalsekretär über die Videokonferenz der Verteidigungsminister informieren, die an diesem Mittwoch und am Donnerstag unter anderem über die Folgen von Corona für die Einsätze der Nato beraten werden. Aber erneut hatte am Vorabend jener Mann die Agenda gesetzt, der Stoltenberg gern als "meinen größten Fan" bezeichnet: US-Präsident Donald Trump bestätigte die Pläne, die Zahl der in Deutschland stationierten US-Soldaten auf 25 000 zu begrenzen. Über die Bundesregierung sagte er: "Bis sie zahlen, werden wir unsere Soldaten abziehen, einen Teil unserer Soldaten."

Stoltenberg erläuterte, wie wichtig Stützpunkte in Deutschland für Einsätze etwa in Nahost sind

Stoltenberg kündigt an, den möglichen Truppenabzug mit den Ministern diskutieren zu wollen, denn "die Präsenz der Amerikaner in Deutschland ist für die ganze Nato von Bedeutung". Noch sei nicht entschieden, "wann und wie" die Entscheidung umgesetzt wird, ergänzt der Norweger. Er habe Trump zu erklären versucht, dass die Präsenz von US-Soldaten in Europa nicht nur gut für die europäische Sicherheit sei, sondern auch für die Vereinigten Staaten, sagt er und bezieht sich auf ein Telefonat in der vergangenen Woche. Genau führt er aus, dass die US-Armee nicht nur Europa schütze, sondern die Standorte dafür nutze, ihre globale Rolle in der Weltpolitik auszuüben: "Stützpunkte wie Ramstein oder das Militärkrankenhaus in Landstuhl sind essenziell für das, was die USA seit Jahrzehnten in Nahost, Afghanistan, Irak oder Afrika tun."

Für Stoltenberg ist wichtiger, dass die USA seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland 2014 in Europa viel präsenter sind, Soldaten verlegt und viele Milliarden investiert haben. Dies ist kein PR-Trick: Trumps Rhetorik passt nicht zu den Fakten. Dass das Bekenntnis der USA zur Nato "stärker denn je sei", betont auch Botschafterin Kay Bailey Hutchison. Bisher gebe es keine konkreten Planungen für einen Truppenabzug aus Deutschland, "wo unsere Soldaten gerne leben". Einen Zeitplan kennt sie nicht. Deutschland sei ein guter Partner, dessen Politiker selbst wüssten, dass sie mehr in ihre Verteidigung investieren müssten. Trump habe die Armee beauftragt, zu prüfen, wo die aktuell in Deutschland stationierten Soldaten den größten "Abschreckungseffekt" hätten.

Die Republikanerin Hutchison lässt keinen Zweifel, dass sie starke Signale gegenüber Moskau für nötig hält. Die Minister wollen am Mittwoch mit einem Paket an Maßnahmen auf die Stationierung von atomwaffenfähigen russischen Marschflugkörpern des Typs SSC-8 reagieren, die fast jeden Ort in Europa treffen können. Deswegen sollen bodengestützte Luftverteidigungssysteme installiert und zusätzliche Übungen mit atomar bestückten Langstreckenbombern oder nuklear bewaffneten U-Booten erfolgen. Für diese Fähigkeiten ist die Nato auf die USA angewiesen. Auch für andere russische Bedrohungen, sei es mit Kurzstreckenraketen oder durch Cyber-Angriffe, will sich die Nato rüsten. Die Aufstellung neuer landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen durch die Nato sei jedoch nicht geplant, betont Stoltenberg in der Pressekonferenz.

Anders als Trump sagt, sind Nato-Beiträge relativ gering. 2019 waren es zwei Milliarden Euro

Bisher war der Truppenabzug in den Nato-Gremien kein offizielles Thema. Wer dort nachfragt, hört viel Zustimmung für das Urteil von General Ben Hodges, dem früheren Befehlshaber der US-Truppen in Europa. Dieser nennt Trumps Plan "politisch motiviert" und sieht nur zwei Profiteure: China und Russland. Allerdings würde auch eine Verlegung der 9500 US-Soldaten aus Deutschland in die USA wohl nicht dazu führen, dass Russland etwas tue, das es sich sonst nicht traue würde, heißt es.

In der Nato sind Trumps Schimpfkanonaden gegen die Deutschen wohlbekannt. "Sie erfüllen seit Jahren ihre Pflicht nicht und schulden der Nato Milliarden von Dollar", hatte Trump im Weißen Haus gesagt. Wörtlich klagte er, dass Deutschland die USA "missbrauche". Der Präsident spielte an auf das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. 2014 hatten sich alle Alliierten verpflichtet, sich bis 2024 dem Ziel anzunähern, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Berlin hat die Ausgaben zuletzt zwar klar gesteigert, lag aber 2019 dennoch erst bei einem BIP-Anteil von 1,38 Prozent. Angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise, die zu einem niedrigeren BIP führt, dürfte die Quote zumindest kurzfristig deutlich steigen. Zuletzt hatte die Bundesregierung das Ziel ausgegeben, 2024 einen Wert von 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erreichen.

Anders als es Trump jedoch laufend darstellt, sind die eigentliche "Beiträge" an die Nato als Organisation relativ gering. 2019 betrug das Budget für die laufenden Kosten etwas mehr als zwei Milliarden Euro; von 2021 an übernimmt Deutschland davon wie die USA 16,35 Prozent der Summe; es geht um einen Betrag von etwa 350 Millionen Euro. Diese Berliner Geste hat Präsident Trump offensichtlich nicht milde gestimmt.

Seit Langem kritisiert die Nato Desinformationskampagnen aus Russland, weshalb Stoltenberg gefragt wurde, ob er Trump nicht im nächsten Telefonat erklären müsse, wie die Militärallianz funktioniere und wieso kein Mitglied der Nato Milliarden schulde. Dies wäre doch ein Beitrag im Kampf gegen irreführende Informationen. Hierauf gibt der Generalsekretär, der alle 30 Mitglieder vertreten muss, ebenso wenig eine klare Antwort wie auf die Frage, ob sich der Truppenabzug mit der Präsidentschaftswahl im November erledigen könnte. Er sagt nur: "Ich denke, es hat keinen Sinn, über den Ausgang der Wahl in den USA zu spekulieren."

Darauf dürften in Berlin und Brüssel aber viele hoffen. Aus der Nato-Zentrale sind oft Stimmen zu hören, dass Trump mit viel Tamtam auch einen Abzug von Soldaten aus Südkorea angekündigt habe, der bisher nicht vollzogen wurde. Dass all dies Zweifel an der Verlässlichkeit des unerlässlichen Partners weckt, bereitet jedoch große Sorgen und Kopfzerbrechen.

© SZ vom 17.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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