Nato:Bewegliche Quote

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Schert da jemand aus? Deutschland steht beim Zwei-Prozent-Ziel der Nato eher schlecht da. Im Bild Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit ihren Kolleginnen aus Norwegen, Marie Eriksen Søreide, und den Niederlanden, Jeanine Hennis-Plasschaert (von links) sowie Nato-Chef Jens Stoltenberg. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Ob die deutschen Militärausgaben annähernd so steigen, wie Donald Trump es fordert, hängt auch vom Wirtschaftswachstum ab.

Von Daniel Brössler und Cerstin Gammelin, Berlin

Es ist mittlerweile ein gewohntes Ritual. In regelmäßigen Abständen tritt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor die Presse und verkündet Etappensiege an einer ganz besonderen Front. "Alle Alliierten haben die Kürzungen gestoppt. Alle Alliierten haben begonnen, mehr auszugeben", verkündete Stoltenberg am Donnerstag bei der Präsentation seines Jahresberichtes in Brüssel. So hätten die europäischen Nato-Staaten und Kanada 2018 vier Prozent mehr Geld in die Verteidigung gesteckt. Seit 2016 seien 41 Milliarden US-Dollar (36,3 Milliarden Euro) zusätzlich in die Nato-Streitkräfte geflossen, Ende 2020 werde diese Zahl bei 100 Milliarden liegen. Zahlen sind das, die vor allem einen Mann glücklich machen sollen: Donald Trump. Sie sollen den US-Präsidenten davon abhalten, die Nato wieder als "obsolet" zu schmähen.

In Stoltenbergs Rechnung gibt es freilich eine große Unbekannte. Sie heißt Berlin. Trumps Zorn über zu niedrige Militärbudgets der Verbündeten trifft kein Land so sehr wie Deutschland. Und kaum ein anderes großes und wichtiges Mitgliedsland ist so weit entfernt vom Ziel, das man sich in der Nato 2014 gesteckt hatte. Beim Gipfel in Wales hatten sich alle Nato-Staaten zu Maßnahmen verpflichtet, "die darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zuzubewegen". Laut der von Stoltenberg am Donnerstag vorgelegten Statistik lag die Bundesrepublik 2018 gerade einmal bei 1,23 Prozent. 2024 will die Bundesregierung, so hat sie es der Nato gemeldet, dann 1,5 Prozent erreicht haben.

Allerdings mehren sich Zweifel, ob selbst diese Zusage zu halten sein wird. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) plant für 2020 mit Rüstungsausgaben von 44,7 Milliarden Euro. Das sind mehr als die bisher in der Finanzplanung vorgesehenen 42,9 Milliarden Euro. Aber deutlich weniger als die von Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) geforderten 47,2 Milliarden Euro. Damit hätte die Bundesregierung die Nato-Quote auf 1,41 Prozent im kommenden Jahr steigern können; im laufenden Jahr soll sie bei 1,35 Prozent liegen. Sollte Scholz sich mit seinem Etatentwurf durchsetzen, würde die Quote 2020 nach SZ-Informationen auf 1,37 Prozent steigen. Man wäre damit, wird in Berlin betont, sowohl in absoluten Zahlen als auch beim Erreichen der Nato-Quote im Aufwärtstrend. Allerdings sollte das Zahlenwerk am Donnerstag noch einmal Thema im Koalitionsausschuss sein und könnte sich zu Gunsten von der Leyens verändern.

In der Koalition sieht vor allem die SPD die Nato-Vorgaben kritisch. Im Koalitionsvertrag hatte sie auch deshalb durchgesetzt, höhere Rüstungsausgaben an höhere Entwicklungshilfeausgaben zu koppeln. Fragt man nun in Berlin, ob es dabei bleibt, dass Deutschland 2024 wenigstens 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgeben will, gibt es darauf zwei Sorten von Antworten: eine politische und eine eher mathematische. Politisch steht die Bundesregierung zu ihrer Zusage. Mathematisch wird darauf verwiesen, dass das Erreichen des Zieles ja von vielen Faktoren abhängt. Erst der 2023 aufgestellte Haushalt für 2024 werde für Gewissheit sorgen.

Tatsächlich ist die Nato-Quote ein bewegliches Ziel. Je mehr die Wirtschaft wächst, desto weiter entfernt es sich. Und umgekehrt. Deshalb steht Griechenland da wie ein Musterknabe. 2018 gab es 2,22 Prozent des BIP für Verteidigung aus, womit es nach den USA (3,39 Prozent) auf Platz zwei landete. Möglich sei das nur, weil die griechische Wirtschaft seit 2012 um mehr als 25 Prozent geschrumpft sei, wird in Berlin argumentiert.

Haushaltsexperten weisen seit Langem darauf hin, dass die Quote nie genau vorauszusagen ist. Man könne lediglich planen, wie hoch die Ausgaben ausfallen sollten. Man könne aber nicht genau planen, wie das Wirtschaftswachstum ausfallen werde. Das stehe immer erst nach Abschluss des Jahres fest. Folglich sei es immer unsicher, vorab die Quote genau festzulegen. Die derzeitigen Planungen beruhen nach Auskunft des Bundesfinanzministeriums auf einem Wirtschaftswachstum von einem Prozent in diesem Jahr und 1,6 Prozent im Jahr 2020. Der gute Wille der Bundesregierung sei daran zu erkennen, heißt es in Berlin, dass die Ausgaben jedes Jahr kräftig steigen würden - im Gegensatz zu früheren Jahren. Sollte das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr weiter zurückgehen, könnte Deutschland am Ende mit einer deutlich höheren Quote herauskommen als bisher angenommen. Dies gelte auch für die kommenden Jahre.

Am Donnerstag zeigte sich erneut, wie fragil die Prognosen derzeit sind. Das Münchner Ifo-Institut senkte die deutsche Prognose für 2019 auf nur noch 0,6 Prozent. Das Berliner DIW rechnet, wie auch die Bundesregierung, mit einem Zuwachs von einem Prozent, die OECD mit 0,7 Prozent. Für 2020 sehen die Voraussagen besser aus. Aber auch das ist unsicher.

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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