Nahostkonflikt:Die Landkarte ist fertig

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Israels Premier Netanjahu konkretisiert seine Annexionspläne für das Westjordanland - Kritik kommt ausgerechnet von der Siedlerbewegung.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Die Ankündigungen des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu weisen darauf hin, dass er seine Ankündigung tatsächlich umsetzt, von Juli an Teile des Westjordanlandes zu annektieren. Als Vorlage dient ihm der zu Jahresbeginn von US-Präsident Donald Trump präsentierte Nahostplan. In einem Interview mit der Gratiszeitung Israel Hajom hat Netanjahu erstmals konkrete Angaben zu seinem möglichen Vorgehen und zu den von ihm erwarteten Auswirkungen gemacht.

Der israelische Ministerpräsident will das Jordantal annektieren: einen zehn Kilometer breiten Streifen entlang der jordanischen Grenze, der bis zur Mitte des Toten Meeres reicht. Dort leben etwa 50 000 Palästinenser. Sie sollen, so kündigte Netanjahu nun an, keine israelische Staatsbürgerschaft bekommen. Städte wie Jericho mit circa 23 000 Einwohnern sollen nicht annektiert werden, sondern als palästinensische Enklaven verbleiben. Es werde "ein oder zwei Cluster geben, über die man keine israelische Souveränität verhängen muss", sagte Netanjahu. Aber die Israelis wollen die volle Sicherheitskontrolle über das ganze Territorium.

Angaben, ob Palästinenser, die von Enteignungen betroffen sein könnten, Entschädigungen erhalten sollen, machte Netanjahu nicht. Rund ein Drittel der Fläche des Jordantals ist Eigentum von palästinensischen Privatpersonen. Wird der US-Plan umgesetzt, würde rund 30 Prozent der bisherigen Fläche des Westjordanlandes israelisches Staatsgebiet. Dazu gehören auch jene Gebiete, auf denen die rund 120 Siedlungen mit ihren 400 000 Einwohnern stehen. Eine mit Israelis und Amerikanern besetzte Kommission ist seit Februar dabei, die genaue Grenzziehung auszuarbeiten. Laut US-Angaben ist die künftige Landkarte schon fast fertiggestellt.

Ein Palästinenser flüchtet, nachdem er bei Zusammenstößen im Westjordanland am Donnerstag Steine auf Israels Soldaten geworfen hat. (Foto: AFP)

Außerdem verspricht Trump, dass Jerusalem die ungeteilte Hauptstadt Israels sei und dass die Palästinenser eine Hauptstadt in der Nähe von Jerusalem bekommen sollten. Den Palästinensern werden im Gegenzug Milliardenhilfen in Aussicht gestellt. Nach frühestens vier Jahren Verhandlungen soll ein eigener Staat realisiert werden, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt sind. Dazu müssten "die Palästinenser Kanadier werden", hat US-Botschafter David Friedman erklärt - womit er auf den sprichwörtlichen Pazifismus der US-Nachbarn anspielte. Friedman ist starker Befürworter der Annexionspläne.

In dem Interview erzählt Netanjahu freimütig, dass ihm ein US-Diplomat erklärt habe, es werde ohnehin nie einen palästinensischen Staat geben - höchstens "eine Entität, die Trump als Staat definiert". Tatsächlich bestünde laut dem US-Plan ein palästinensischer Staat aus einer Reihe unzusammenhängender Flächen, die zum Teil nur über israelisches Staatsgebiet erreicht werden könnten. Als Ausgleich für die annektierten Flächen im Westjordanland sind für die Palästinenser isolierte Gebiete in der Negev-Wüste an der Grenze zu Ägypten vorgesehen. Zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen soll eine Verbindung durch einen Tunnel oder über eine Straße auf Stelzen gebaut werden.

Netanjahu reagiert in dem Interview auch auf Kritik von Siedlern an dem Plan. In der Vergangenheit sei von Israel stets der Rückzug aus 1967 eroberten Gebieten gefordert worden sowie die Teilung Jerusalems und ein Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge. "Dieser Plan bietet das Gegenteil an. Nicht von uns wird verlangt, dass wir Land aufgeben, sondern von den Palästinensern", sagte Netanjahu. Außerdem müssten die Palästinenser endlich anerkennen, "dass wir diejenigen sind, die die Sicherheitsregeln für das ganze Gebiet diktieren".

Es ist überraschend, dass sich die Siedlerbewegung in Israel an die Spitze derjenigen gestellt hat, die den US-Plan ablehnen. Der Siedlerrat hat diese Woche eine Kampagne gestartet mit dem Ziel, den Plan zu verhindern. Ihre Vertreter stoßen sich vor allem an dem Ziel, dass einmal ein palästinensischer Staat errichtet werden soll und daran, dass in ihm 15 Siedlungen als isolierte Enklaven liegen würden. Der Siedlungsbau soll dort gemäß dem US-Plan für vier Jahre eingefroren werden.

Während einige Pragmatiker in der Siedlungsbewegung die Umsetzung des Plans bevorzugen und einen Palästinenserstaat ohnehin als eine unrealistische Perspektive betrachten, wollen vor allem einige Ideologen ihre Vision eines "Großisrael" nicht preisgeben. Avraham Schvut, einer der ersten Siedler im Westjordanland, geht sogar so weit zu behaupten, der US-Nahostplan sei gefährlicher als das Oslo-Abkommen, weil damit ein palästinensischer Staat akzeptiert werde. Die Siedler werden in ihrem Widerstand von Netanjahus früherem Koalitionspartner unterstützt, der Jamina-Partei. Als einziger Politiker aus ihren Reihen ist Rafi Peretz in der Regierung geblieben und verspricht: "Wir werden die israelische Souveränität mit voller Kraft ausdehnen, aber wir werden unter keinen Umständen erlauben, dass ein palästinensischer Staat errichtet wird."

Mehrere Staats- und Regierungschefs aus Europa, darunter jene aus Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien, haben Netanjahu in den vergangenen Tagen Briefe geschrieben mit der Aufforderung, auf die Annexionspläne zu verzichten. Netanjahus Sprecher wollte sich dazu nicht äußern.

© SZ vom 30.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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