Nahost:Von Trump zu Putin

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Der türkische Präsident hat mit seinem russischen Kollegen eine Zehn-Punkte-Verein­barung ausge­handelt.

Von Paul-Anton Krüger, Christiane Schlötzer, Istanbul/München

Wieder wird ein "Sieg" gefeiert, wie erst vor wenigen Tagen, und wieder gilt der öffentliche Jubel in der Türkei einer "historischen Vereinbarung". Nur dass diesmal der Partner von Recep Tayyip Erdoğan Wladimir Putin heißt und nicht Donald Trump. Dieser atemberaubende Seitenwechsel brachte am Dienstagabend selbst Kommentatoren regierungsnaher türkischer TV-Sender ins Schleudern, als sie versuchten, die Zehn-Punkte-Vereinbarung zu erklären, die Erdoğan und Putin in sechs Stunden und zwanzig Minuten in Sotschi ausgehandelt hatten. "Und dafür sind unsere Soldaten gestorben?", sagte ein verdutzter Militärexperte im Sender CNN Türk.

Am Mittwoch brauchen die Zeitungen viele Farben, um den Flickenteppich darzustellen, der künftig "Sicherheitszone" genannt werden soll: zehn Kilometer auf syrischem Gebiet, patrouilliert von russischen und türkischen Kräften, kontrolliert von syrischen Grenzsoldaten. Dazwischen der 120 Kilometer breite Streifen, in dem sich die türkische Militärintervention abspielte. Und von allem ausgenommen die Stadt Qamischlo, bisher das Zentrum der kurdischen Selbstverwaltung.

"Mit dieser Vereinbarung hat Putin es so weit gebracht, dass Erdoğan die Legitimität der syrischen Armee anerkannt hat", schreibt die Zeitung Yeniçağ, ein eher oppositionelles Blatt. Dass die Türkei nach acht Jahren Krieg, in denen sie Baschar al-Assad bekämpfte, sich mit dessen Regime abgefunden hat, ist unübersehbar. Für Erdoğan, den einst entschiedensten politischen Gegner Assads in Nahen Osten, ist dies eine dramatische Wende. Er hat sie mit der türkischen Militärintervention in Nordsyrien selbst herbeigeführt, auch wenn die anderen Zielen dienen sollte. Diese seien erreicht, verkündet die regierungstreue Hürriyet: "Die ganze Grenze wird gesäubert", von den "Terroristen".

Gemeint sind die kurdischen YPG-Milizen. Sie müssen sich laut der Vereinbarung von Sotschi binnen 150 Stunden aus dem gesamten mehr als 440 Kilometer langen Grenzstreifen zurückziehen. Sollten sie das nicht tun, warnte Kremlsprecher Dmitrij Peskow vorsorglich, würden sie "von der türkischen Armee zermalmt".

Das türkische Verteidigungsministerium hat die "Operation Friedensquelle" am Mittwoch für beendet erklärt. Sie hatte am 9. Oktober begonnen, am 17. Oktober war sie nach der Vereinbarung mit den USA für eine "Waffenpause" unterbrochen worden. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sagte, sollte die Türkei in dem von ihr kontrollierten Gebiet kurdische Kämpfer finden, werde man sie "neutralisieren". Die Gegenden sollten lokal verwaltet werden, überwiegend von Arabern, fügte er hinzu. Allerdings gehören die von Ankara unterstützten Milizen der Syrischen Nationalarmee zu den Verlierern: Sie haben meist schon andernorts gegen Assad gekämpft und werden kaum in Gebiete gehen, die unter Kontrolle des Regimes gelangen könnten.

Die syrische Armee und Russland schufen sofort Fakten: Russische Militärpolizisten rückten in die Grenzstadt Kobanê ein, um den Abzug der YPG zu überwachen. Kobanê ist für die Kurden eine Stadt mit bitterer Heldengeschichte. Hier hatte die YPG-Miliz im Frühjahr 2015 die Angriffe der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) abgewehrt. Damals begann mit Luftangriffen auf die Dschihadisten die Unterstützung der USA, die Präsident Donald Trump den Kurden mit dem jüngst befohlenen Truppenrückzug wieder entzogen hatte. Erdoğan nahm das als Signal für die Militäroperation. Kobanê erreichte sie aber nicht.

Russlands Verteidigungsminister Schoigu kündigte an, es müssten zusätzliche Soldaten und auch Gerät nach Syrien verlegt werden, das sei "offenkundig". Die gemeinsamen Patrouillen mit der Türkei müssten gründlich und ernsthaft sein, um Zwischenfälle zu verhindern, und die Grenze sei lang - bestreift werden müssen etwa 320 Kilometer, in denen syrische Soldaten die Kontrolle über die Grenze übernehmen sollen - 15 Beobachtungsposten werden dafür errichtet, heißt es aus Damaskus.

Die Verstärkung der russischen Truppen ist eigentlich nicht in Putins Sinne, der Syrien-Einsatz ist in Russland zunehmend unpopulär. Die Einigung von Sotschi aber wird dennoch als Erfolg gefeiert. "Wie Putin eine Schlacht Tausende Kilometer von Botscharka entfernt gewonnen hat", titelte etwa der Kommersant; Botscharka nennt man die Sommerresidenz des Präsidenten.

Ins Hintertreffen geraten sind indes die Kurden - und ihre einstigen Schutzherren aus Amerika. Eine offizielle Stellungnahme der YPG gab es zunächst nicht. Immerhin stoppt der Deal von Sotschi den Vormarsch der türkischen Armee und der mit ihr verbündeten syrischen Milizen. Auch begrenzt er die türkische Präsenz auf syrischem Boden. Dafür aber werden die Kurden dem Assad-Regime weit entgegenkommen müssen. Noch kontrollieren sie große Gebiete im Norden und Osten, die außerhalb der Sicherheitszone liegen, und auch wichtige Ölfelder. Trump will in diesem Gebiet wohl eine Präsenz von bis zu 200 US-Soldaten zulassen, dazu kommen noch einmal etwa 150 im Feldlager al-Tanf im Dreiländereck mit Irak und Jordanien. Das russische Außenministerium aber verlangte am Mittwoch unmissverständlich, dass die Regierung in Damaskus die Kontrolle über alle Ölanlagen übernehmen müsse.

Präsident Trump dagegen zeigte sich begeistert: "Großer Erfolg", schrieb er auf Twitter. "Sicherheitszone erschaffen! Waffenruhe hat gehalten und Kampfhandlungen sind beendet. Die Kurden sind sicher und haben schön mit uns zusammengearbeitet." Das muss in den Ohren der Kurden wie Hohn klingen. Ein 30 Jahre alter syrischer Kurde zündete sich vor dem Gebäude der UN-Flüchtlingsagentur in Genf selbst an, die Polizei vermutet, dass die politische Situation sein Motiv war. Die Initiative von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fand zwar bei der US-Regierung vorsichtig Zuspruch, sollte Deutschland auch Bodentruppen stellen. Doch mit dem Deal von Sotschi dürfte die Idee obsolet sein. Man sehen keine Notwendigkeit, eine Sicherheitszone unter internationaler Kontrolle in Syrien einzurichten, zitierte die Nachrichtenagentur Ria Novosti Moskaus Außenministerium.

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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