Eine Mehrheit der Ägypter hat Mohammed Mursi zum Präsidenten Ägyptens gewählt - wohl auch, weil viele in ihm den Mann sehen, der das Land endgültig vom alten System des gestürzten Machthabers Hosni Mubarak befreien kann. Allerdings herrschen durchaus Befürchtungen, der Islamist wolle das Land zu einem islamistischen Staat machen. Auch außenpolitisch schafft der Wechsel in Ägypten neue Unsicherheiten.
Nun scheint Mursi bemüht, entsprechende Ängst zu zerstreuen und seine Anbindung an die Muslimbrüder zumindest offiziell zu lösen. Die konservativ-religiöse Muslimbruderschaft erklärte nach dem Sieg ihres Kandidaten die Mitgliedschaft Mursis ägpytischen Medienberichten zufolge für beendet. Dies gelte auch für das Verhältnis des gewählten Präsidenten zu der von der Bruderschaft gegründeten Partei Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), erklärte der Generalsekretär der Muslimbruderschaft, Mahmud Hussein. Bereits am Sonntag hatte Mursi formell auf den Vorsitz in der FJP verzichtet, den er bis dahin innehatte.
In seiner am Sonntagabend im Fernsehen übertragenen Antrittsrede sagte Mursi, er sei ein "Präsident für alle Ägypter". Seine Landleute rief er zur nationalen Einheit auf. Diese sei der der einzige Ausweg aus "diesen schwierigen Zeiten", sagte der erste Islamist an der Spitze des Staates.
Die ägyptische Wahlkommission hatte Mursi am Sonntag zum Sieger der ersten freien Präsidentschaftswahl in der Geschichte des Landes erklärt. Nach Angaben der Wahlkommission konnte sich der Kandidat der islamistischen Muslimbruderschaft bei der Stichwahl um das Präsidentenamt mit 51,7 Prozent der Stimmen knapp gegen seinen Herausforderer, den früheren Ministerpräsidenten Ahmed Schafik, durchsetzen.
In einer Geste an Aktivisten würdigte der 60-Jährige Mursi auch die fast 900 Demonstranten, die bei dem Volksaufstand gegen den früheren Machthaber Mubarak im vergangenen Jahr getötet wurden. Ohne "das Blut, die Tränen und Opfer der Märtyrer" hätte er es nicht bis zur Präsidentschaft gebracht, sagte Mursi. Die Revolution gehe so lange weiter, bis "alle ihre Ziele erreicht" seien.
Auf dem Tahrir-Platz in der Hauptstadt Kairo feierten Hunderttausende Menschen den Sieg Mursis. Dagegen herrschten in dem Hotel am Stadtrand, in dem sich das Wahlkampfteam Schafiks und Anhänger versammelten hatten, Entsetzen und Wut. Der frühere Regierungschef selbst gratulierte Mursi allerdings und wünschte ihm Erfolg bei der "schwierigen Aufgabe", die das ägyptische Volk ihm anvertraut habe, wie die amtliche Nachrichtenagentur Mena meldete.
Ägypten:Muslimbruder wird erster ziviler Präsident
Historisches Wahlergebnis am Nil: Mit Mohammed Mursi ist zum ersten Mal ein Islamist zum Präsidenten Ägyptens gewählt worden.
In seiner Rede wandte der neue Präsident Mursi sich auch an die internationale Gemeinschaft. In einer "Botschaft des Friedens" kündigte er die Achtung aller internationalen Abkommen an.
Das nährt vor allem auch beim Nachbarn Israel Hoffnung auf eine stabile Zusammenarbeit beider Länder. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, er hoffe, dass Ägypten nach der Wahl Mursis am Friedensvertrag mit Israel von 1979 festhalten werde.
Als eher beunruhigend dürfte Israel hingegen eine andere Absicht Mursis empfinden. Danach strebt der neue ägyptische Präsident engere Beziehungen zu Iran an. Der Politiker der Muslimbrüder sagte in einem am Montag veröffentlichten Interview der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur Fars, er wolle die Beziehungen zur Islamischen Republik ausweiten, um ein strategisches Gleichgewicht in der Region zu schaffen. "Dies ist Teil meines Programmes", zitierte Fars den Politiker. Das Interview hat nach Fars-Angaben am Sonntag stattgefunden, wenige Stunden vor Bekanntgabe des Ergebnisses der Präsidentenwahl.
International wurde die Wahl Mursis sowohl von westlichen wie auch von arabischen Staaten begrüßt. Die USA bezeichneten die Wahl Mursis als Meilenstein auf dem Weg Ägyptens zur Demokratie. US-Präsident Barack Obama gratulierte Mursi in einem Telefongespräch zu dessen Sieg und stellte weitere Unterstützung für den ägyptischen Übergang zur Demokratie in Aussicht, wie das Weiße Haus mitteilte.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon äußerte die Hoffnung, dass Mursi "keine Mühen dabei scheuen wird, sicherzustellen, dass das Volk Ägyptens seine Hoffnungen auf mehr Demokratie verwirklicht", wie UN-Sprecher Martin Nesirky mitteilte.
Für die EU erklärte die Außenbeauftragte Catherine Ashton, die Wahl Mursis sei "eine wichtige Etappe im demokratischen Übergang Ägyptens und ein historischer Augenblick für das Land und die Region". Gratulationen kamen neben Deutschland auch aus Frankreich, Großbritannien und Italien.
Im arabischen Raum kamen Glückwünsche unter anderem von der islamistischen Hamas im Gaza-Streifen, Iran, der Palästinensischen Autonomiebehörde, aus Jordanien, Katar und Bahrain.
Neuer Präsident vor mehreren Herausforderungen
Der Friedensnobelpreisträger und einer der Führer der ägyptischen Demokratiebewegung, Mohammed ElBaradei, drängte sein Land nach der Bekanntgabe des Ergebnisses zur Einheit und zur gemeinsamen Arbeit an der Zukunft Ägyptens.
Auf Mursi warten in seiner Rolle als künftiger Staatschef mehrere große Herausforderungen, unter anderem muss er die angeschlagene Wirtschaft des Landes wieder in Gang bringen. Mursi droht zudem eine neue Konfrontation mit dem weiterhin mächtigen Militärrat, der erst kürzlich die Machtbefugnisse des Präsidenten beschnitten hatte. Unter anderem ernennt der Präsident nun nicht mehr den Verteidigungsminister und muss auch auf den Titel "Oberbefehlshaber der Streitkräfte" verzichten.
Auch der Oberste Militärrat gratulierte dem islamistischen Wahlsieger. Ein Wahlkampfsprecher Mursis sagte im Staatsfernsehen, der Vorsitzende des Militärrats, Feldmarschall Hussein Tantawi, habe Mursi zu dessen Wahlsieg gratuliert. Beide würden an diesem Montag zu einem Treffen zusammenkommen.