Musik:Verstimmte Dänen

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Singen ist im Norden elementarer Teil des Alltags. Aber einige Volkslieder sind alles andere als politisch korrekt.

Von Kai Strittmatter

"Das dänische Lied ist ein junges blondes Mädchen." So heißt eines der beliebtesten Volkslieder Dänemarks, fast 100 Jahre alt. Diese Woche war es Auslöser eines gewaltigen Streits. Überhaupt war dies eine Woche, in der die dänische Nation sich mal wieder ihrer selbst versicherte, die dänische Politik tut das gerne in Abgrenzung zu allem Fremden. So beschloss das Parlament die Finanzierung eines Projektes, das einen Teil der ankommenden Flüchtlinge in Zukunft auf einer unbewohnten Insel aussetzen soll. Und es erklärte den Handschlag zum urdänischen Kulturmerkmal: Wer Däne werden will, muss bei der entsprechenden Zeremonie einem Staatsbeamten die Hand geben.

Noch mehr als Händeschütteln ist allerdings das gemeinschaftliche Singen urdänische DNA. Hier ist es nicht ungewöhnlich, dass nicht bloß Schüler, sondern etwa auch Kollegen an der Uni oder in Start-ups mit gemeinsamem Chorgesang den Tag beginnen. Und oft singen sie Lieder aus dem "Hochschulgesangbuch", einer Sangesbibel, die auf 100 Jahre Geschichte zurückblickt. Lied Nummer 162 in diesem Kanon ist eben jenes "Den danske sang er en ung blond pige", geschaffen 1926 vom Komponisten Carl Nielsen.

Vor etwas mehr als einem Jahr nun wählten sich Dozenten der Copenhagen Business School CBS just das junge blonde Lied Nummer 162 für ihren Morgengesang. Eine nichtblonde, dunkelhäutige Doktorandin protestierte hernach, sie fühle sich durch dieses Lied ausgeschlossen - woraufhin die Fakultät beschloss, das Lied solle besser nicht mehr gesungen werden, da es auf der "Idee eines homogenen Dänemark" beruhe, die man heute hinterfragen müsse.

Der Sturm der Empörung über die jetzt erst bekannt gewordene Entscheidung der CBS ist gewaltig. Premierminister Lars Løkke Rasmussen zeigte sich "schockiert". Aber auch die Opposition sprach von einer "Schande". Das Lied sei "ein Juwel" der dänischen Sangeskultur, schrieb Orla Hav, der sozialdemokratische Vorsitzende des Kulturausschusses im Parlament, das Verhalten der CBS zeuge von "Geschichtslosigkeit". Die Verteidiger verweisen auf die Entstehungszeit des Liedes: Nordschleswig war 1920 erst heimgekehrt ins Land, die Dichter des neuen Dänemarks suchten seine innere Einheit auch poetisch zu begründen. Warum nicht früher schon alle Rothaarigen und Brünetten protestiert hätten, fragten einige spöttisch. Wenn man alle alten Lieder unter die Lupe nähme, dann "könnten wir unsere Münder gar nicht mehr auftun".

Der Tenor also von rechts bis links: Diesmal hat sich die politische Korrektheit ganz von selbst ins Abseits katapultiert. Und nur zwischendrin ein paar nachdenkliche Zeilen. Von einem Kommentator der Zeitung Politiken etwa, der beiden Seiten Hysterie attestierte, der vor allem aber fragte, warum eigentlich in einer Woche, in der die Verschickung von Flüchtlingen auf eine unbewohnte Insel beschlossen wird, das öffentliche Dänemark sich all seine Empörung für einen vergleichsweise läppischen Angriff auf das dänische Liedgut aufspart. Seine Antwort: "Das dänische Lied ist heute ein ältlicher gekränkter weißer Mann auf Facebook."

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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