Müll im kurdischen Diyarbakir:Krieg ist Dreck

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In der Türkei soll nach 30 Jahren der blutige innere Krieg enden. Die kurdische Stadt Diyarbakir erhofft sich davon mehr Sauberkeit. Aus Angst vor Terroranschlägen wurden dort einst alle Mülleimer abgebaut - mit verheerenden Folgen. Jetzt rüstet die Verwaltung mit 800 Müllcontainern und Körben auf.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Die christlichen Kreuzritter haben es nie bis nach Diyarbakir geschafft, auch Astronauten wurden noch nicht auf den Straßen der kurdischen Metropole im Südosten der Türkei gesichtet. Die Stadt mit eineinhalb Millionen Einwohnern macht sich das nun zunutze. Ritter und Roboter winken von Riesenplakaten. Auf diesen fragt die Stadtverwaltung ihre Bürger vom Straßenrand aus: "Kommt der Müll in Diyarbakir vielleicht aus dem All?" Und: "Haben Zauberer unsere Straßen verschmutzt?" Die Antwort steht im Kleingedruckten: Nein, für den Dreck in Diyarbakir sind wir, die in dieser Stadt leben, schon selbst verantwortlich.

Die ungewöhnliche Kampagne in der Kurdenstadt macht Schlagzeilen in der ganzen Türkei. Denn hier geht es nicht nur um Sauberkeit, sondern um ein Symbol. Der Müll steht für den Krieg, Reinlichkeit für den Frieden. Der türkische Staat hatte 1993 von der Stadt verlangt, alle Papierkörbe an den Straßen abzubauen und alle Müllcontainer abzuschaffen.

Damals herrschte in der Region Ausnahmezustand, wegen der Kämpfe zwischen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und der Armee. Mehrfach waren Bomben in Mülleimern abgelegt worden. Es gab Tote und Verletzte. So hingen der Müll, die Stadt und der Tod zusammen. Die Bürger warfen ihren Dreck einfach auf die Straße und überließen es der Stadtverwaltung, ihn einzusammeln. Nun soll alles anders werden. "Wir haben keine Sicherheitsprobleme mehr", stellt Vizebürgermeisterin Hafize Ipek fest.

Papierkörbe in Orange leuchten an den Straßen

Die Regierung in Ankara und die PKK haben jüngst einen Friedensprozess begonnen. Seit dem 8. Mai ziehen die Kämpfer der Kurdentruppe in kleinen Gruppen aus der Türkei ab, in den kurdischen Nordirak. 30 Jahre blutiger innerer Krieg in der Türkei sollen enden. Das soll man auch in Diyarbakir sehen und riechen können. 800 Müllcontainer und Körbe hat die Stadt gekauft. Einige der silbern leuchtenden Boxen sind aufgestellt. Papierkörbe in Orange leuchten an den Straßenrändern. Sie sind an grüne Pfosten montiert, die fest im Boden verschraubt sind. Das wirkt, als sollten sie so schnell nicht wieder abgebaut werden.

Diyarbakir wurde in den Neunzigerjahren zum Zufluchtsort für Hunderttausende. Zahllose kurdische Dörfer wurden damals von der Armee zwangsweise evakuiert und zerstört. Damit sollte der PKK der Boden entzogen werden. Unter den Bauern ohne Land rekrutierten die Rebellen Nachwuchs. Zu Städtern wurden viele der Vertriebenen nie. Auch das merkt die Verwaltung am Müll. "Wir stellen fest, dass sich viele Bewohner nicht zugehörig fühlen, dass sie diese Stadt nicht achten", sagt Vizebürgermeisterin Ipek. Deshalb, so Ipek, würfen die Leute "Lebensmittelreste, Babywindeln, einfach alles" bedenkenlos auf die Straße, "auch wenn sie in den eigenen vier Wänden kein Staubkörnchen duldeten".

Seit es die Hoffnung auf dauerhaften Frieden gibt, erlebt die Stadt am Tigris einen ersten Touristenboom. Cafés haben geöffnet, Baudenkmäler werden herausgeputzt. Stinkender Müll auf allen Wegen passt nicht ins Bild. "Hitzefest", so Ipek, seien die neuen Körbe auch. Warum? Das verrät die Vizerathauschefin nicht. Aber vielleicht will ja jemand ein Freudenfeuer entzünden.

© SZ vom 25.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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