Möglicher Militäreinsatz in Syrien:Abschreckendes Beispiel Irak

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Ein Fahrzeug brennt nach einem Bombenanschlag am 3. September in Bagdad. (Foto: AFP)

Seit Beginn des Jahres fielen im Irak 4000 Menschen dem Terror zum Opfer. Das Land ist zerrissen zwischen Sunniten und Schiiten, die Sicherheitskräfte sind nach dem Abzug der Amerikaner nicht in der Lage, die Bevölkerung zu schützen. Falls Syrien zerfällt, würde auch dieser Staat infrage stehen.

Von Sonja Zekri, Kairo

Es hätte der neuen Opfer nicht bedurft, nicht der 800 Toten im August und nicht der 1000 im Juli, nicht der insgesamt 4000 seit Beginn des Jahres, die dem Terror zum Opfer fielen. Der Irak wäre auch ohne sie das beste Argument gegen jede Einmischung des Westens in Syrien. So aber ist er mehr als nur ein abschreckendes Beispiel.

Zehn Jahre nach dem amerikanischen Einmarsch ist das Land geschwächt, zerrissen entlang konfessioneller Grenzen. Irakische Sunniten und Schiiten in Scharen ziehen auf unterschiedlichen Seiten in den Krieg im Nachbarland. Und während die Loyalität zum Nationalstaat strapaziert wird, aber die Bedeutung der konfessionellen oder ethnischen Zugehörigkeit wächst, wäre der Irak einer der ersten Kandidaten, die unter dem Zusammenbruch der geopolitischen Architektur der Region begraben würden. Zerfällt Syrien, würde womöglich auch der irakische Staat mit seinem kurdischen Autonomiegebiet infrage stehen.

Al-Qaida überfällt Gefängnisse

Gewinnen würde eine ebenfalls überstaatliche Organisation: al-Qaida. In den vergangenen Monaten ist die Terrortruppe im Irak, aber auch in Jemen zu einer neuen Taktik übergegangen. Sie überfallen Gefängnisse. Im Irak griffen sie vor einigen Wochen Abu Ghraib an, das größte Gefängnis des Landes, und auch ein weiteres Hochsicherheitsgefängnis. Es war eine spektakuläre Aktion mit Selbstmordattentätern, Mörsern und Raketen. Dutzende Sicherheitskräfte, 500 Gefangene entkamen, unter ihnen hochrangige Al-Qaida-Mitglieder.

Gleichzeitig bestätigte es einen Verdacht, den viele Iraker schon lange haben: Armee und Polizei des Landes sind ein halbes Jahr nach dem Abzug der Amerikaner nicht in der Lage, die Menschen zu schützen, ja, sie sind für viele selbst zur Bedrohung geworden. 1000 Tote in einem Monat - das gab es zuletzt vor fünf Jahren auf dem Höhepunkt des Schlachtens zwischen Sunniten, Schiiten, US-Armee und irakischen Sicherheitskräften.

Der dramatische Anstieg begann im April, nachdem irakische Sicherheitskräfte ein sunnitisches Protestlager im Norden des Landes zerschlugen. Dutzende Menschen starben, während das Fernsehen in Dokumentationen an die Gräueltaten unter Saddam Hussein erinnert: So schlimm wie damals soll es nie wieder werden, aber deshalb dürfen wir jetzt nicht zimperlich sein, lautete die Botschaft, die zum Repressionsarsenal auch in anderen Ländern der Region gehört. Eine Reihe von Anschlägen war die Folge - eine Bombe auf einen Hochzeitskonvoi in Bakuba, in einem Café, auf einem Markt, in einem fahrenden Auto vor einem Handelszentrum, am Rande eines Fußballplatzes - meist in Schiitenvierteln. Auch am Dienstag explodierten wieder Autobomben in Bagdad, mindestens 21 Menschen starben.

Die meisten Anschläge werden al-Qaida angelastet oder das Terrornetzwerk bekennt sich zu den Taten. Aber brutale Reaktionen der Sicherheitskräfte - willkürliche Verhaftungen, Folter und die Erpressung von Angehörigen Inhaftierter - wecken bei der sunnitischen Minderheit ein Gefühl, das die Schiiten unter Saddam Hussein hatten: Sie sind marginalisiert, schikaniert, bedroht. Einst hatten die Sunniten den Behörden und den Amerikanern geholfen, al-Qaida zurückzudrängen. Nun stehen sie unter Generalverdacht. Und so provozieren Armee und Polizei Proteste unter den Sunniten. Angesichts der Terrorwelle fühlen sich auch die Schiiten ungeschützt.

Der schiitische Premierminister Nuri al-Maliki war einst als Garant für Stabilität angetreten. Heute aber ist er nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen eher Teil des Problems. Weder haben es eine Million Männer in den Sicherheitsdiensten geschafft, das Land zu befrieden, noch al-Qaida signifikant zu schwächen, noch durch eine eher konsensorientierte Politik Ruhe zu schaffen.

Im Gegenteil: In einer sehr nahöstlichen Taktik versucht er gerade, das Lager seiner Feinde durch Zugeständnisse zu spalten. Er hat die Kurdenregion besucht und ist den Kurden von Kirkuk in der Formulierung eines neuen Wahlgesetzes entgegengekommen, das ihnen größeren Einfluss sichern dürfte. Er hat Land an die Armen verteilt, umwirbt Lehrer und Journalisten, er achtet darauf, dass der Terror unter Saddam nicht vergessen wird, während er die gefürchteten Spezialkräfte jener Tage aus der Pensionierung zurückruft. Und er verweist auf Syrien.

Bis heute hält Maliki, der Schiit, zu Baschar al-Assad, Angehöriger der schiitischen Sekte der Alawiten. In der Arabischen Liga gehört er zu jenen wenigen Mitgliedern, die jedes härtere Vorgehen gegen Syrien ablehnen. Syriens Aufstand ist sunnitisch, ihre Reihen füllen sich auch mit irakischen Sunniten - in einer historischen Gegenbewegung: Vor ein paar Jahren schickte Assad unerwünschte Militante in den Irak, um gegen die Amerikaner zu kämpfen. Würden die Sunniten Assad stürzen, wäre dies ein Fanal für die Sunniten Iraks, und dass al-Qaida in Syrien und im Irak längst unter einer Flagge kämpfen, verschärft die Lage. Zwar haben die Kommunalwahlen Stimmenverluste für Malikis Regierung ergeben, aber seiner Einschätzung nach gibt es nur eine Rettung für Irak, und die heißt: Maliki.

In diesem Klima eskalierte die Lage in einem Lager iranischer Exilanten, der Volksmudschaheddin, wobei die Hälfte der 100 Insassen starb. Wie der Gewaltausbruch zustande kam, will nun eine UN-Kommission untersuchen. Die Volksmudschaheddin sind militante Oppositionelle, die aus dem Irak gegen das Mullah-Regime in Iran gekämpft haben und nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak gestrandet sind. Nun sprechen sie von einem "Massaker" der irakischen Armee, die mit Mörsern geschossen habe. Irakische Behörden wiederum sagen, Öl- und Gaskanister seien explodiert oder die Volksmudschaheddin hätten sich gegenseitig umgebracht.

© SZ vom 04.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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