Missbrauch in der Kirche:Der Zwang zum Zölibat muss weg

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Alles muss ans Licht. Auch die Sexualität muss aus der Dunkelkammer heraus. Nur so kann die katholische Kirche diese Krise überstehen.

Wunibald Müller

Das Entsetzen bleibt. Gott sei Dank. Das Entsetzen darüber, dass Priester, Männer Gottes, Kinder sexuell missbrauchen. Wir haben uns noch nicht daran gewöhnt, obwohl es lange schon zur bitteren und furchtbaren Wahrheit der katholischen Kirche gehört. Zu lange hat sie sich Zeit gelassen, radikale Konsequenzen zu ziehen. Jetzt sind erste Entscheidungen getroffen worden - doch weitere werden nötig sein, will die Kirche die schwerste Krise ihrer jüngeren Geschichte nicht nur überstehen, sondern nutzen, um sich zu wandeln.

Wenn Eltern ihre Kinder einem Priester anvertrauen, müssen sie sich darauf verlassen können, dass es sich dabei um eine Person handelt, die des Vertrauens wert ist, das man ihr schenkt. Die für die Ausbildung und Anstellung von Priestern Verantwortlichen müssen Gewähr dafür bieten, dass diese Sicherheit gegeben ist. Notwendig ist daher eine intensive Überprüfung der psychosexuellen Vergangenheit der Kandidaten fürs Priesteramt.

Sollten sie selber einst missbraucht worden sein - bei vielen Missbrauchern ist dies der Fall -, muss dies aufgearbeitet werden. Künftige Priester müssen sich den psychosexuellen Entwicklungsschritten stellen, die am Ende dazu führen, verantwortungsvoll mit ihrer Sexualität umgehen zu können und beziehungsfähig zu sein. Hier hat sich in den Priesterseminaren viel geändert. Die größere Sorgfalt bei der Auswahl der Kandidaten darf aber angesichts abnehmender Interessenten für den Priesterberuf nicht aufgeweicht werden.

Immer wieder wird die Frage gestellt, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen Missbrauch und Zölibat. Eine direkte Verbindung in dem Sinne, dass der Zölibat die Ursache dafür ist, lässt sich nicht nachweisen. Wer pädophil veranlagt ist und seine Veranlagung ausleben möchte, den schützt weder der Zölibat noch die Ehe davor, das zu tun.

Bei dieser Frage geht es in erster Linie darum, ob die Kandidaten, die zum Priesteramt zugelassen werden, in der Lage sind, die Lebensform des Zölibats verantwortungsvoll und lebensbejahend zu führen. Sie setzt Reife und Charisma voraus. Beides ist bei vielen so nicht gegeben - so dass nur ein eingeschränkter Kreis von Männern dafür in Frage kommt.

Doch ist das tatsächlich die Lösung? Würde man die Koppelung von Priesteramt und Zölibat aufgeben, hätte das zur Folge, dass der Kreis der Interessenten fürs Priesteramt sich vergrößert. Auch dürfte die Gruppe derer, die sich mit ihrer Sexualität auseinandergesetzt haben, dann größer sein - und der Anteil derer, die sich aus fragwürdigen Gründen für den zölibatären Weg entscheiden, kleiner.

Von einer Priesterschaft, die zölibatäre und verheiratete Priester einschließt, ginge eine positive Wirkung aus: weil dann der ganze Bereich der Intimität selbstverständlicher innerhalb der Priesterschaft anwesend wäre, und weil damit ein eindeutiges Ja zur Sexualität zum Ausdruck käme.

Will die Kirche diese schwere Krise für sich fruchtbar machen, muss sie die Sexualität, auch die Sexualität in ihren eigenen Reihen, aus der Dunkelkammer herausholen, wo sie oft ein unwürdiges Leben fristet. Dann kann sie sich auch im kirchlichen Bereich entfalten und als wunderbares Geschenk Gottes gewürdigt und erfahren werden.

Wo Licht hinfällt, wird nicht ausbleiben, dass man auch die Schmutzflecken am Kleid der Kirche entdeckt. Man sieht dann aber auch wieder deutlicher, dass nicht das ganze Kleid beschmutzt ist, sondern dass die überwiegende Mehrheit der Priester treu ihren Dienst tut und allem Vertrauen gerecht wird.

Wenn die Kirche zu ihren tatsächlichen Fehlern steht, dann muss sie auch nicht länger herhalten als Sündenbock für Fehler, die andere zu verantworten haben, es aber vorziehen, sie der Kirche aufzuladen. Hier wünschte ich mir seitens der Kritiker an der Kirche etwas mehr Demut, im Wissen, dass der Misthaufen vor der eigenen Tür oft genauso groß ist.

Ich meine nicht die berechtigte, wichtige Kritik. Ich meine die Häme, die Schadenfreude und Unbarmherzigkeit, die in mancher Berichterstattung der Kirche entgegenschlägt. Hier sollte man bedenken: Um an der Barmherzigkeit Gottes teilhaben zu können muss man nur die Voraussetzung erfüllen, ein Mensch und ein Sünder zu sein. Diese Voraussetzungen aber erfüllen wir alle, egal ob wir Bischof, Journalist, Katholik oder Atheist sind.

Haben wir als Kirche etwas falsch gemacht?

Als spirituelle Menschen müssen wir uns auch fragen, was uns Gott mit dieser Situation sagen will. Haben wir als Kirche etwas falsch gemacht? Sollen wir auf eine so furchtbare Weise aufgeweckt werden, weil wir geschlafen haben? Ist da irgendetwas faul in unserem System, das wir übersehen haben? Kann es sein, dass die Kirche, ja, fast dazu gezwungen wird, sich auf einen

Läuterungsprozess einzulassen, an dessen Ende sie demütiger geworden ist? Müssen wir uns vielleicht von einem Verständnis von Kirche verabschieden, nach dem die Kirche heilig ist? Wir glauben zwar an die heilige, katholische Kirche, aber eben an die heilige, die mit der gegenwärtigen nicht verwechselt werden darf. Wir vergessen das manchmal, geben uns dem Schein hin, vielleicht doch heilig oder zumindest ein wenig heiliger zu sein als die anderen.

Und von da aus ist es dann nicht weit zu Anspruchsdenken und narzisstischem Gehabe. Ist es da nicht verständlich, wenn Fragen auftauchen: Bereitet eine kirchliche Struktur, die auch von Geheimnistuerei, Status- und Anspruchsdenken, Mangel an Respekt gekennzeichnet ist (alles Einstellungen, die typisch sind für potentielle Missbraucher), den Boden für sexuelle Grenzverletzungen?

Dem steht eine Kirche entgegen, die nach einem Läuterungsprozess selbst freiwillig in die Knie geht, nachdem sie zunächst durch den öffentlichen Aufschrei in die Knie gezwungen worden ist. Eine Kirche, die zu ihrer Menschlichkeit, Schwäche, Unvollkommenheit und Verwundbarkeit steht - angefangen beim Papst bis hin zum einfachen Gläubigen.

Wenn Papst Benedikt XVI. an die katholische Kirche in Irland schreibt: "Im Namen der Kirche drücke ich offen die Schande und die Reue aus, die wir alle fühlen", dann sagt er damit allen Opfern: "Ich schäme mich dafür, und ich bereue das." Wenn ich aber etwas bereuen muss, dann sage ich damit auch, dass ich etwas falsch getan habe, selbst wenn ich mit bestem Wissen und Gewissen gehandelt habe.

Reue ist zugleich Voraussetzung für Veränderung, Verwandlung. Ob die Kirche wirklich auf dem Weg dahin ist? Es ist ihre einzige Chance, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.

Der Psychologe Wunibald Müller leitet das Recollectio-Haus der Benediktiner-Abtei Münsterschwarzach. Die Einrichtung therapiert Priester und Ordensleute in Lebenskrisen.

© SZ vom 06.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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