Missbrauch:Hamburgs Erzbischof bietet Rücktritt an

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Im Erzbistum Köln wurde sexualisierte Gewalt jahrzehntelang vertuscht. Ein jetzt vorgestelltes Missbrauchsgutachten hat erste Konsequenzen: Der frühere Generalvikar Stefan Heße und heutiger Hamburger Oberhirte bittet Papst Franziskus, ihn sofort von seinen Aufgaben zu entbinden.

Von Annette Zoch, München

Das mit Spannung erwartete zweite Missbrauchsgutachten für das Erzbistum Köln hat erste personelle Konsequenzen: Am Donnerstagabend, wenige Stunden nach der Vorstellung des Gutachtens, bot der Hamburger Erzbischof Stefan Heße seinen Amtsverzicht an. "Ich habe mich nie an Vertuschung beteiligt", sagte der 54-jährige katholische Theologe. Dennoch sei er bereit, seinen Anteil am Versagen des Systems zu tragen. "Um Schaden vom Amt des Erzbischofs sowie vom Erzbistum Hamburg abzuwenden, biete ich Papst Franziskus meinen Amtsverzicht an und bitte ihn um die sofortige Entbindung von meinen Aufgaben."

Heße, der seit 2006 Personalchef und von 2012 bis 2015 Generalvikar im Erzbistum Köln war, werden in dem Gutachten des Kölner Strafrechtsprofessors Björn Gercke elf Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchstätern vorgeworfen. Das Gutachten habe zum Beispiel ergeben, dass "ein Protokoll bewusst nicht angefertigt wurde", sagte die Co-Autorin der Studie, Kerstin Stirner.

Heße ist nicht der einzige Geistliche, der an diesem Donnerstag sein Amt verloren hat: Belastet werden in dem Gutachten auch Weihbischof Dominikus Schwaderlapp und der Chef des Kölner Kirchengerichts, Günter Assenmacher. Kardinal Rainer Maria Woelki entband die beiden Geistlichen überraschend noch am Donnerstag auf der Pressekonferenz vorläufig von ihren Aufgaben. Erste Konsequenzen sollten eigentlich erst am kommenden Dienstag verkündet werden. Schwaderlapp erklärte später, er habe Woelki um diesen Schritt gebeten. Zugleich bot Schwaderlapp Papst Franziskus seinen Rücktritt an.

Woelki selbst, gegen den zeitweilig auch Vertuschungsvorwürfe erhoben wurden, wurde im Gercke-Gutachten ausdrücklich entlastet. Ihm sei kein Fehlverhalten vorzuwerfen, zu einem ähnlichen Ergebnis sei auch das zurückgehaltene Münchner Gutachten gekommen, sagte Gercke. "Medial wäre es für uns am einfachsten gewesen, Herrn Woelki hier zum Schafott zu führen", sagte der Strafrechtler. Dafür gebe es aber keine Grundlage. Am Abend kündigte Woelki an, eine unabhängige Kommission zur weiteren Aufklärung der Fälle sexualisierter Gewalt in seinem Erzbistum einberufen zu wollen. Hierüber sei man im Gespräch mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, und der nordrhein-westfälischen Landesregierung.

Das Gercke-Gutachten ist bereits das zweite Missbrauchsgutachten für das Erzbistum Köln. Woelki hatte 2019 die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl mit einer Untersuchung beauftragt. Ende Oktober 2020 wurde die Vorstellung aber überraschend abgesagt, als Grund führte die Bistumsleitung methodische Mängel und rechtliche Probleme an. Kritiker vermuteten, das Gutachten sei zu unbequem ausgefallen. Als Woelki entschied, es nicht zu veröffentlichen, löste dies einen Sturm der Entrüstung und eine beispiellose Austrittswelle aus.

Hart ins Gericht geht das Gercke-Gutachten auch mit Kardinal Joachim Meisner. Ein Drittel der Pflichtverstöße sei alleine ihm anzulasten, sagen die Gutachter. Aus dem Gutachten geht hervor, dass der 2017 verstorbene Kardinal vor 2010 von Missbrauchsfällen wusste und sogar ein Privatarchiv führte, in dem er problematische Fälle sammelte. Der Titel: "Brüder im Nebel".

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