Mir Hussein Mussawi:Die Rückkehr des Vergessenen

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Mir Hussein Mussawi war nach jahrelanger Abstinenz von der Politik eher unwillig wieder auf die Bühne getreten. Jetzt ist er die Symbolfigur des Protests in Iran.

Tomas Avenarius

Die Worte, die Mir Hussein Mussawi wählte, waren deutlich: "Ich möchte ganz klar sagen, warum ich überhaupt kandidiere. Ich sehe in Anbetracht dieser Regierung Gefahren für das Land." Und doch wirkte Mussawi nicht so entschlossen, wie es klang, als er vor knapp zwei Monaten in den Ring trat.

(Foto: Foto: dpa)

Der Mann, der nun die Proteste gegen den angeblichen Wahlsieger Mahmud Ahmadinedschad persönlich anführt, war nach jahrelanger Abstinenz von der Politik eher unwillig wieder auf die Bühne getreten. Die Reformer, die wichtigste Gruppe der iranischen Opposition, hatten keinen anderen Bannerträger gefunden als diesen fast in Vergessenheit geratenen Ex-Premierminister. Jetzt aber wächst Mussawi über sich hinaus. Er ist zur Symbol- und Führungsfigur der Proteste in Teheran geworden.

Mussawi, ein Architekt und Maler, hatte die letzten 20 Jahre im Studierzimmer verbracht. Seine Zeit als Premierminister während des iranisch-irakischen Kriegs war weitgehend vergessen. Viele junge Leute kannten den Mann nur vom Hörensagen. Mussawi war es, der die Islamische Republik während des achtjährigen Kriegs gegen den Irak wirtschaftlich am Leben gehalten hatte. Und das trotz umfassender wirtschaftlicher Sanktionen - der Ayatollah-Staat stand 1981 bis 1989 allein gegen Saddam Husseins Irak und gegen die restliche Welt.

Er sei "ehrlich, bescheiden und ein Mann, der den Massen hilft" heißt es über den 1941 in Khameneh im Ostteil des iranischen Aserbeidschan geborenen Politiker. Und er ist - zumindest vor Menschenmengen - ein mehr als bescheidener Redner. Zur Kandidatur bei dieser Wahl, 2005 hatte er abgelehnt, kam er aus der Not eines anderen heraus: Mohammed Chatami, der charismatische Führer der iranischen Reformer, wollte oder durfte nicht gegen Präsident Machmud Ahmadinedschad antreten.

Der Ex-Staatspräsident wusste, dass das Regime seine erneute Kandidatur nicht akzeptieren würde. Also schickte der Geistliche Mussawi vor. Dieser hatte stets Kontakt zu den Reformern gehalten. Mussawis Ehefrau Sahra Rahnaward, eine Professorin, zählt zu Chatamis Beratern.

Mussawis Weg zur Kandidatur ist bezeichnend für den Zustand der Opposition und der Demokratiebewegung Irans. Sie ist überaus lebhaft, aber ebenso schlecht organisiert. In sich widersprüchlich, orientiert sie sich stärker an Personen denn an Parteien und Programmen. Und: Wichtige Teile stellen das herrschende System zumindest öffentlich niemals grundsätzlich in Frage.

Viele der prominentesten Oppositionsvertreter entstammen wie Mussawi dem Establishment. Es sind Ex-Präsidenten, Ex-Premiers, geistliche Würdenträger. So bestätigt sich, was zynisch so beschrieben worden ist: Der einzige politische Erfolg der Islamischen Republik sei es, jegliche organisierte Opposition gegen den Gottesstaat des Ayatollah Chomeini von Grund auf zerstört zu haben.

Die Proteste der vergangenen Tage wirken spontan. Sie werden von Studenten und anderen jungen Leuten getragen, vernetzt nicht durch Parteiapparate, sondern durch SMS-, Internet- und Twitterbotschaften. Es fehlt an Strukturen. Und auch wenn der aus dem politischen Rentnerdasein zurückgekehrte Mussawi großen Mut beweist, indem er sich an die Spitze der Bewegung stellt: Abgesehen von Ex-Präsident Chatibi hatten die Gegner von Ahmadinedschad bisher keine charismatischen Führungsfiguren und auch keine in der Gesellschaft verwurzelten Oppositionsparteien.

Das war einmal anders: Der Aufstand gegen den Schah 1979 war keinesfalls nur eine "islamische" Revolution: Kommunisten, Linke, Bürgerliche und ethnische Minderheiten hatten an der Seite der Islamisten gegen den Autokraten gekämpft. Kaum war der Schah vertrieben, riss Ayatollah Chomeini die Revolution an sich: Der Geistliche schaltete Kommunisten, Volksmudschaheddin und Bürgerliche aus, überstellte Oppositionelle aller Lager dem Henker.

Heute setzt die Opposition auf Liberalisierung, Demokratisierung und Modernisierung des Gottesstaats. Die Islamische Republik grundsätzlich in Frage zu stellen, wäre schwierig, denn Chomeini genießt in Iran eine Art Heiligenverehrung. Womit auch das von ihm aufgebaute Staatssystem mit seiner "Führerschaft der Geistlichkeit" sakrosankt ist. Damit verbot sich bisher auch fast jede Kritik an der mächtigsten Figur im Land: Am derzeitigen geistlichen Führer und Chomeini-Nachfolger Ali Chamenei. Der aber ist für die Generallinie der Politik verantwortlich und dürfte nun auch selbst in Kritik geraten.

© SZ vom 17.06.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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